Der feine Geschmack Dalmatiens
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Der feine Geschmack Dalmatiens

Über kulinarische Klischees und echte, ursprüngliche Küche

von Sebastian Bütow
Dienstag, 26.10.2021
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Jedes Land hat seine kulinarischen Klischees, so auch Kroatien. Welche Speise fällt so ziemlich jedem von uns unverzüglich ein, wenn wir uns das umwerfend schöne Adrialand, das gerade mal zehn Prozent mehr Einwohner zählt als Berlin und so unfassbar erfolgreich ist in den Ballsportarten, auf einem Teller vorstellen?

Na klar, die Rede ist von Cevapcici. In den meisten Teilen Dalmatiens, der inselreichen Südspitze im Land des amtierenden Fußball-Vizeweltmeisters, werden die knusprigen Fleischröllchen aber eher nur für Touristen gegrillt.

Frau isst fritierte Calamaries
Foto: Sebastian Bütow

Historische Bilderbuch-Stadt an der Adria

Das wissen wir allerdings noch nicht, als wir nach der Landung in Split und dem Kofferablegen im zentral gelegenen Hotel ausgehungert nach einem Restaurant Ausschau halten. Die Kinder durchforsten die Speisekarte – und müssen desillusioniert zur Kenntnis nehmen, dass die ihnen als Auftaktmenü hoch und heilig versprochene Hackfleischköstlichkeit hier leider gar nicht angeboten wird. Die Enttäuschung wiederholt sich beim zweiten Restaurant-Versuch. Fühlt sich an, als würde man in Italien verzweifelt nach einem Lokal mit Pizza und Pasta suchen.

Also wieder Abmarsch. Die routinierte (Nicht-)Reaktion des Kellners lässt vermuten, dass wir nicht die allerersten Gäste sind, die die Speisekarte seufzend zuklappen, um ihr Cevapcici-Glück woanders zu suchen.

Im Vorbeigehen duftet es nach Grillfleisch

Eine Reihe hinter der glamourösen, Saint-Tropez-liken Promenade mit ihren prachtvollen Palmen, makellosen Fassaden und zumeist jungen, schönen, modisch gekleideten Menschen dann endlich die Erlösung: In einem reichlich bepflanzten, biergartenähnlichen Outdoor-Restaurant duftet es schon beim Vorbeigehen nach Grillfleisch. Bingo!

Und dann kommen sie endlich, die ­üppigen, ovalförmigen Cevap-Teller. Herrlich knusprig, farblich zwischen dunkelbraun und schwarz, serviert mit Pommes und Ajvar, dem Beilagenklassiker der Balkanküche schlechthin. Das rötliche Püree aus Paprika und Auberginen punktet, da es ohne penetrante Essignote daherkommt, schmeckt angenehm mild, was eine Weltpremiere zur Folge hat: Die obligatorische Frage der Kinder nach Ketchup bleibt diesmal aus.

Jeden Morgen, ganz früh, kommen die Fischer zu uns

Sime
Eterovic

So weit, so gut. Bei der Suche nach einer Steckdose zum Handyaufladen im Lokalinneren wird das bilderbuchartige Ambiente- und Geschmackserlebnis leider heimgesucht von einem Abtörner der Extraklasse: Beim Vorbeigehen an der halb offenen Küche werde ich unfreiwillig Zeuge, wie eine Küchenkraft einen XXXL-Plastikbeutel mit rundlichen Hackfleischstangen aus der Tiefkühltruhe hinausbugsiert und auf den Grill ausschüttet. Aus der Traum von der vermeintlich frisch zubereiteten Cevapcici-Romantik.

Das hätte ich mit einem Convenience-Produkt auch zu Hause haben können. Aber ganz ehrlich, gemundet hat’s trotzdem, versuche ich mir einzureden. Aber dieses Bild, der Sack mit dunklen Tiefkühlbrocken, der da eiskalt ausgeschüttet wurde, es will nicht mehr verschwinden aus meinem Kopf. Es ist an der Zeit, endlich mal eine Powerbank anzuschaffen. Ebenso ist es an der Zeit, sich den wahren Köstlichkeiten Dalmatiens zu widmen! Zumal es davon mehr gibt als in diesen Artikel hineinpassen.

Split gleicht einem Freilichtmuseum

Die Dalmatien-Metropole Split, mit ihren 210.000 Einwohnern nach der Hauptstadt Zagreb die zweitgrößte Stadt Kroatiens, wurde bereits 1979 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Sie ist Schauplatz der (übrigens sehenswerten) Primetime-Krimireihe »Kroatien-Krimi« (ARD) und macht einfach Spaß mit ihrer Historie, ihrem Gewusel, ihrer mediterranen Eleganz. Der Stadtkern gleicht einem Freiluftmuseum. Wer durchs Zentrum flaniert, erlebt mit etwas Fantasie eine Zeitreise in die Antike, weil noch viele Fragmente der römischen Epoche allgegenwärtig sind.

Die dicken Mauern des Diokletianpalasts lassen Verkehrslärm und Großstadt-Hektik noch immer verstummen an einigen Stellen. Erbaut wurde der gigantische Palast im vierten Jahrhundert als Altersruhesitz für den römischen Kaiser Diokletian, er war der einzige römische Kaiser, der sich freiwillig aus seinem Amt verabschiedet hatte. Kaum ein anderes römisches Bauwerk hat die Zeit so formidabel überlebt, in Form eines faszinierenden Gassengeflechts, in dem man sich leicht verirren kann zwischen all den winzigen Cafés und charmanten Boutiquen, Bars und Restaurants.

Kaisergranat auf Teller mit Meeresblick
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Ein echtes Highlight: der Fischmarkt

Da Split direkt am Meer liegt, ist klar, dass Fischfreunde hier ein wahres Paradies entdecken. Auf dem berühmten Fischmarkt von Split, dem trubeligen Peskarija, locken fangfrische Meeresfrüchte in unfassbarer Auswahl und allerbester Qualität, sobald die Sonne aufgeht. Alles, was die Adria zu bieten hat, wird hier verkauft: Sardinen, Makrelen, Papaline, natürlich auch die allerfeinsten Fischarten wie Drachenkopf, Zahnbrasse, Wolfsbarsch, Langusten und Hummer.
Ab mittags kann man hier sogar Schnäppchen fangen. Eigentlich ist dieser herrliche Peskarija, selbstverständlich eingebettet in ein historisches Gebäude, schon lange viel zu winzig für die wachsende Stadt – aber seine Bedeutung und Lage mitten in der Altstadt ist den Splitern viel zu heilig, um über eine Location-Veränderung nachzudenken.

Brac: Berühmt für Kalkstein und köstlichen Fisch

Nach zwei Nächten geht’s mit der Fähre weiter nach Brac, auf die drittgrößte Insel der Adria, berühmt für ihren dreieckigen Strand-Hotspot. Das »Goldene Horn« lockt mit Bilderbuchstrand und Strandbars, bei denen auch tagsüber getanzt wird. Unser malerisches Fischerdörfchen Pucisca wird in Reiseführern als eines der schönster Dörfer Europas bezeichnet. Zu Recht! Es entwuchs quasi dem weißen Kalkstein, der viele Jahrhunderte Objekt der Begierde verschiedener Eroberer war. Der Diokletianpalast in Split entstand aus dem einzigartigen marmorähnlichen Gestein, das mehr als ein Exportschlager ist. Der Berliner Reichstag, sogar das Weiße Haus in Washington wurden auch aus ihm erbaut! Pucisca fasziniert vor allem mit seiner bezaubernden Bucht, die Harmonie aus den eher schlicht gehaltenen Häusern, Renaissance-Palästen und Barock-Gebäuden, die aus dem weißen Stein von Brac erschaffen wurden, begeistert jeden, wie auch das eine oder andere Restaurant auf der Insel.

Bilderbuch Fischereidorf
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Authentische Klassiker

Die Küche im Norden Kroatiens ist eher von österreich-ungarischen Einflüssen geprägt. An der Küste und auf den Inseln sieht und schmeckt man die Nähe zu Italien und Griechenland. Wie die Aussicht und das Essen in dem Restaurant »Lucica«, das im Gegensatz zu den zentraler gelegenen Lokalen keine ­Touristenklassiker anbietet, stattdessen echte dalmatinische Leckerbissen mit Tradition und Klasse. Fragt man im Dorf nach der besten Adresse für Genüsse, das »Restoran« Lucica gilt als solche.

Typische Touristengerichte, wie sie die an ihre Klientel angepassten Lokale im Ortskern anbieten, gibt es hier nicht, sondern nur die echte, ursprüngliche Küche Dalmatiens. Wer den Spaziergang zu dem etwas abgelegenen Lokal meistert, wird belohnt mit einem herrlichen Ausblick auf die Bucht, mit dem Boot können Gäste hier auch direkt anlegen. Zwischen den Tischen tänzelt ein kleines Mädchen herum, es ist die Tochter der Besitzerin Sime Eterovic. »Wir hoffen, dass sie unser Restaurant eines Tages übernimmt«, sagt die Chefin, die das Restaurant von ihren Schwiegereltern übernahm. Ihre Schwiegermutter, die Matriarchin, die das Zepter übergab, arbeitete sieben Jahre in der Schweiz und spricht perfekt Deutsch. Sie erläutert mir die Speisekarte. »Wir haben Fischgerichte im Angebot und traditionelle Gerichte aus Dalmatien. Jeden Morgen, ganz früh, kommen die Fischer zu uns. Mein Sohn sucht die besten Fische aus.«

Festung am Meer
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Nicht mehr als Salz, Pfeffer, Öl ‒ und Petersilie

Eines der beliebtesten Gerichte ist Oktopus mit großen Bohnen, dazu gibt es Polenta, den berühmten Maisbrei. »Wenn Fisch frisch ist, braucht man nur Salz, Pfeffer und Öl. Sonst nichts. Zum Fisch gibt’s fast immer Mangold (Blitva), das grüne Gemüse ist quasi das Grundnahrungsmittel der dalmatinischen Küche, im übrigen Kroatien bezeichnet man die Dalmatiner deshalb auch als Blitvari, also als jemanden, der Mangold isst.

Selbstverständlich gibt es hier auch Pasticada, es ist das mit Abstand bekannteste Gericht Dalmatiens. Der geschmorte Rinderbraten wird vor allem zu feierlichen Anlässen serviert. »Das Rindfleisch wird in Stücke geschnitten, mit Prozek, einem süßen Wein, verschiedenen Gewürzen und Pflaumen mindestens drei Stunden gekocht«, erklärt Mutter Eterovic. Die lange und sorgfältige Zubereitung und die Vielfalt an Zutaten sorgen dafür, dass wunderbare Aromen entstehen. Jeder Ort, jede Familie zelebriert in Dalmatien eine ganz eigene Art der Zubereitung, die Rezepte variieren  von Küche zu Küche. Gnocchi sind eine gern gesehene Beilage dazu.

Einsamer Fischer
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Schwarzes Risotto – ein Klassiker der kroatischen Küche

Schweifen die Blicke über die Teller-Landschaften, fällt einem oft schwarzes ­Risotto, Crni Rizot, ins Auge, das nicht nur in Italien populär ist. Es ist eine Spezialität an der gesamten kroatischen Küste, es gibt keine Speisekarte, die ohne diesen Augen- und Gaumenschmaus auskommt. Die schwarze Farbe verdankt es tatsächlich dem Tintenfisch.

Ebenfalls ein absoluter Vorspeisen-Hit: Pager Käse, der als geschmackliches Wunder der Insel Pag gilt. »Er wird aus Schafsmilch hergestellt, die von ganz bestimmten Schafen auf der Insel stammt, die nur dort gezüchtet werden«, so Mutter Eterovic. Pag hat die Besonderheit, dass die Insel von allen Seiten mit extrem salzhaltigem Meerwind verwöhnt wird, der das Geheimnis des Geschmacks ist. Der Pager Käse ist der bekannteste und am häufigsten preisgekrönte in ganz Kroatien. Auch Sterneköche schätzen diese herrlich im Mund schmelzende aromatische Spezialität.

Peka gilt in Dalmatien, aber auch in anderen Teilen Kroatiens als eine traditionelle und beliebte Zubereitungsart für viele Gerichte. Dabei werden sie in einem Topf mit kuppelförmiger Glocke aus Ton oder Eisen über der Glut eines offenen Feuers gegart. Bis die Gerichte fertig sind, vergehen mehrere Stunden. »Das machen wir nur auf Vorbestellung, denn das muss man mindestens zwei Stunden vorher zubereiten. Wir kochen es am Kamin draußen, mit Holz, und nehmen eine Schüssel mit viel Gemüse und verschiedenem Fleisch dazu: Rind, Lamm, Kartoffeln, Gewürze und Weißwein«, so Mumija Eterovic, die das Allerköstlichste zum Schluss servieren lässt.

Dalmatinische Antwort auf Crème brûlée

Das Dessert Rozata ist nicht nur optisch die Krönung, die kalte, feste Creme ist eine Art dalmatinische Version der französischen Crème brûlée. Ihren uniquen Geschmack verdankt sie dem süßlichen Rosenlikör – daher auch der Name – der Zitronenschale und dem Karamell. Man sollte niemals die Insel Brac verlassen, ohne von dieser unverschämt köstlichen süßen Sünde zu kosten.

Kleines Dalmatien-Lexikon

  • Dalmatinski Prsut – gilt als bester kroatischer Schinken mit langer Tradition, stammt aus dem dalmatinischen Hinterland. Er ist vergleichbar dem Serrano aus Spanien oder dem Parmaschinken aus Italien.
  • Lamm am Spieß – ist überall in Kroatien beliebt, besonders auf den Inseln wie Cres, Pag und Brac, und darf nicht fehlen bei festlichen Anlässen.
  • Konoba – Viele Restaurants nennen sich »Konoba«. Sie haben meist ein einfaches, rustikales Interieur und servieren regionale Spezialitäten, die traditionell zubereitet werden.
  • Prosek – extrem süßer Dessertwein aus Dalmatien, wird aus getrockneten Trauben hergestellt.
  • Soparnik – salziger Kuchen, mit Mangold gefüllt, die dalmatinische Spezialität wird traditionell auf offenem Feuer gebacken.
  • Stina – Wein von der Insel Brac. Stina steht im dalmatinischen Dialekt für »Stein«, die Insel verdankt ihre Berühmtheit dem weißen Kalkstein, der sogar im Weißen Haus verbaut wurde.
  • Zrno soli – gehobenes, eher nicht preiswertes Restaurant im Yachthafen von Split. Herrlicher Blick aufs Meer. Eines der besten Restaurants der Stadt.
  • Šurlice – traditionelle Nudeln, die um eine Stricknadel herum von Hand geformt werden, eine beliebte Beilage zu Lamm oder Meeresfrüchten.

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