Kopenhagen kanns
Foto: Frank Peters/stock.adobe.com

Kopenhagen kann’s

Skandinaviens Trendstadt zwischen gemütlich, gelassen, innovativ

von Gabriele Gugetzer
Samstag, 11.03.2023
Artikel teilen: 

Beeindruckend, wie lebens­lustig, zukunftsfreudig und genussaffin diese kleine Großstadt ist. Es gibt alles, von le­ckerem Fisch auf die Faust bis zum vielstündigen Abend im Restaurant Alchemist, welcher je nach Betreuungsintensität bis zu 2.000 Euro kos­tet. Beeindruckend ist das alles auch, weil Kopenhagen Anfang der 1990er-Jahre de facto pleite war. Wie man sich als Stadt neu erfindet und Geld in die städtischen Kassen spült, dafür bietet Kopenhagen unzählige Beispiele. Denn die Pleitejahre sind längst vorbei. 

Tivoli Tivoli Foothall
Foto: Lina Ahnoff Photography

Erfolgreiche dänische Unternehmen verewigten sich, wie die Reederei Maersk, mit gelungener Architektur, brachliegende Gebiete inmitten oder rund um die Stadt wie Nordhavn und Refshaleøen wurden geschickt erschlossen. Damit wird der Grundstein für eine Stadtverdichtung gelegt: Wer heute eine Familie gründet, bleibt in Kopenhagen und zieht nicht mehr ins Umland. In den einstigen Brachen (ungenutzte Flächen) selbst, die nach ihrer Erschließung im Eil­tempo zu begehrten Ecken wurden, gelangten Restaurants wie das Noma und das eingangs erwähnte Alchemist zu Weltruhm. 

Alive and well: Orange weine. Im Høst, einem der New- Nordic-Restaurants der ersten Stunde, gibt’s ein ganzes Foodpairing-Menü dazu.

Bevor Sie sich wundern: Die HOGAPAGE ist nach wie vor kein Architekturmagazin! Doch wie Neubaugebiete und Erschließungen binnen Kurzem lebenswert zu machen sind, auch dadurch, dass sich Restaurants ansiedeln, die für Touristen wie Einheimische interessant sind, ist beispielhaft: Dänen sind einerseits pragmatisch, andererseits angstfrei. Großprojekte klappen, weil sie das Ganze im Blick haben. 

Tivoli smag pa
Foto: Christoffer Anias Sandager/Tivoli

Architektur für innen und außen

Architektur spielt in Kopenhagen auch im Bereich Innengestaltung eine große Rolle. Einerseits wird Wohnraum verdichtet. Andererseits werden gastronomische Orte mit Mehrfachnutzung im Sinn geplant. Eine Location nur an einigen Aben­den für einige Stunden zu öffnen – das kann klappen in der Sternegastro, wenn man, wie das eingangs erwähnte Alchemist, einen Sponsor mit so richtig tiefen Taschen hat. Aber für das normale Gastrogeschäft? Hart Brød & Bar beispielsweise ist tagsüber eine Bäckerei mit hervorragendem Brot, Gebäck und Kaffee, während der (natürlich auch in einer Neuerschließung mit Blick auf Kanäle und Innenstadt angesiedelte) Ort abends eine Event-Location mit Bar wird. 

Das angesagte Design- und Architekturstudio Spacon and X, die sich ein hübsches Wortspiel auf bacon and eggs erdacht haben und auch Modenschauen konzipieren, war hier am Werk. Wobei man auf den ersten Blick weder die Mehrfachnutzung noch das Designhändchen sieht. Das ist eben Design made in Denmark. 

Tivoli Wakha
Foto: Miklos Szabo

Der Trickle-down-Effekt

Was man in der Sterneküche gelernt hat, kann man in ganz unterschiedlichen gastronomischen Konzepten anwenden. So konnte sich während der Pandemie ausgerechnet ein Burger­laden vor Hungrigen nicht retten, die lange Zeiten in der Schlange nicht vom Traum eines guten Cheeseburgers abhalten. Jetzt kann man im Popl im Stadtteil Christianshavn, der mit sei­nen vielen Kanälen ein bisschen an Venedig erinnert, wieder sitzen, muss reservieren und seinen Tisch nach 90 Minuten frei machen. 1.500 Burger am Tag werden verkauft in diesem ­selbsternannten Nachbarschaftsrestaurant, in das Mutti mit Teenager, Teenager ohne Mutti, verliebte Pärchen und Männercliquen kommen. 

Dabei gibt’s keine Riesenauswahl an Burgern. Das zertifizierte Biofleisch für die Fleischburger kommt von Tieren, die auf freien Weideflächen leben. Die Quinoa für die veganen Patties muss nach dem Garen ganze zwei Tage ruhen und reifen. Die Beilagen und Saucen fermentieren im hauseigenen Labor ... wir sind also nicht in einem ordinären Burgerladen, sondern in der Küche einer Truppe von Noma-Veteranen. Die wissen genau, wie’s geht, Superpackaging eingeschlossen. Interessant sind hier auch die arbeitnehmerfreund­lichen Öffnungszeiten: Das Abendbusiness beginnt um 17 Uhr, die Tür fällt ins Schloss um 22.30 Uhr. 

Gebackenes aus Kopenhagen
Foto: HartBakeryHolmen/MellanieGandø

Zwischen Neapel und Mexiko

Aber Kopenhagen kann nicht nur neonordisch. Wer gutes Brot bäckt, was in Kopenhagen einfach vorauszusetzen ist, müsste doch auch Pizzateig beherrschen. Ein gelungenes Branding bietet Otto, die ihren neapolitanischen Style in sechs Locations in – natürlich – ange­sagten Stadtteilen wie Østerbro, Nørrebro und Vesterbro servieren. Ein Novum: spezielle Dips für den zähkauigen und relativ dicken Pizzarand. 

In der Kopenhagener Gastronomie sind wir eher als Kollektiv unterwegs, weniger im Wettbewerb 

Richard Hart, Hart Brød & Bar

Mexiko hat sich mit dem Sanchez ebenfalls in mehreren Filialen zwischen Taqueria und Fine Dining etabliert. Das Design ist gut gelaunt und fröhlich, die Tacos bewusst regional befüllt, was dem allgemeinen Anspruch, echte mexikanische Küche zu bieten, dennoch nicht zuwiderläuft. Der sonntägliche Brunch schlägt für drei Gerichte mit 40 Euro zu Buche, das kann sich jeder leisten. Bei einer Buchung im gehobenen Sanchez wird bei der Reservierung eine Vorauszahlung von der Hälfte des Menüpreises fällig, knapp 40 Euro. Niemand nimmt daran Anstoß.

Kung Fu
Foto: Lasse Salling / Tivoli

Einfach super: Die Markthallen

Die elegante Glaskonstruktion der zwei Hallen von Torvehallerne bietet Platz für etwa 80 Läden und Stände, zwischendrin steht als verbindendes Glied ein klassischer Obst- und Gemüsemarkt. Das Angebot ist auf erstaunliche Vielfalt ausgerichtet, es gibt eben nicht drei oder zehn Stände nebeneinander mit einem fast identischen Angebot. Deshalb sehen sich die Standbetreiber nicht in Konkurrenz zueinander. Man kann Sushi, Smörrebröd oder Süßes holen und sich damit woanders an eine Bar setzen, z. B. ins Le Petit Vin. Sylvain Roubaix hat die Weinbar vor zehn Jahren gegründet und setzt mittlerweile allein 3.000 Flaschen Champagner pro Jahr um. „Bei mir haben die Kopenhagener gelernt, dass ein Glas Champagner keinen besonderen Anlass benötigt“, sagt er denn auch augenzwinkernd. Kein Wunder, dass viele Köche bei ihm einkehren ...

In der Tivoli Food Hall im gleichnamigen Vergnügungspark sind 16 Restaurants untergebracht, die auf die internationale Speisekarte gucken, zwischen Nordafrika, Indien, Thailand und Italien. Auch die Öffnungszeiten sind klug, ganztägig, Wochenenden eingeschlossen.

Spitzenkoch Adam Aamann
Foto: Stine Heilmann for Royal Copenhagen

Smörrebröd: Mit hübschen Stullen in die Jetztzeit

Der klassisch ausgebildete Koch Adam Aamann kehrte nach Lehr- und Wanderjahren in Paris und Italien vor 16 Jahren in seine Heimat zurück. Da er gerade eine Familie gegründet hatte, wollte er den klassischen Restaurant­betrieb hinter sich lassen. „Dänische Küche ist im Grunde eine sehr einfache Küche, aber wir haben vieles vergessen.“

Ihm fiel Smörrebröd ein – „das war damals eine traurige Nummer, ich nahm mir vor, die Qualität dieses eben auch einfachen Gerichts zu verbessern. Fleisch und Fisch auf den Punkt zu pökeln und zu räuchern, das ultimative Roggenbrot dazu zu kreieren ...“ Er begann mit zwei Köchen zu einer Zeit, als Redzepi & Co. auch erst in den Startlöchern standen und New Nordic noch kein Begriff war. Er lernte das Metzgerhandwerk, um ganze Tiere ­verarbeiten zu können. Und er stellte binnen den nächsten 15 Jahren 150 Mit­arbeiter ein. Auch Bäcker, die ihm das für Smörrebröd unerlässliche standfeste rechteckige Brot backen. In vier Filialen, zwischen Take-Away und Michelin-Empfehlung (Aamanns 1921), werden 17 unterschiedliche Smörrebröds aufgetischt, Vegetarisches, Veganes, Fischiges ist dabei, dazu mehrere Desserts aus Omas Küche. So wurden Stullen hochgejazzt – „Bioprodukte und hochpreisigere Zutaten anstelle der traditionellen, einfachen Beilagen“. Köche aus der ganzen Welt arbeiten bei ihm, die vor Ort dann noch eine speziell auf seine Läden zugeschnittene Weiter­bildung erhalten. Serviert wird auf Geschirr von Royal Copenhagen: Tradition trifft Moderne, könnte man sagen. In der Tat spielt Geschirr in der Kopenhagener Gastro die Rolle der Visitenkarte. Viele Restaurants leisten sich ihr eigenes Geschirr, nix Serax.

feines essen
Foto: Aamanns

3 x Smörrebröd aus dem Aamanns

  • Karamellisierte Rote Bete mit Topinambur, Zwiebeln, frittiertem Sellerie und Haselnüssen
  • Räucherlachs mit Endiviensalat, Mandeln, Orangenspalten und Senf-Dill-Dressing
  • Geflügelsalat mit Apfel, Sellerie, Schnittlauch, Hühnerbrust, Speck und knusprig frittiertem Grünkohl
Restaurant Host
Foto: Host

Und was ist mit Sterneküche?

14 Restaurants tragen in Kopenhagen insgesamt 23 Sterne. Die meisten darunter sind Einsterner. Das preis­werteste unter ihnen ist das Kokkeriet, aber auch hier werden schon 180 Euro fürs Menü aufgerufen, im Glas hat man noch nichts. Schmecken tut’s aber auch mit einem Bib Gourmand wie in Kødbyens Fiskebar, die mit Austern, Mu­scheln und fangfrischem Fisch auch visuell punkten. Oder im Høst, das der Guide Michelin zu Recht für seine sehr gute Preisleistung lobt. Es war eines der ersten Nordic-Cuisine-Restaurants, hat sich aber längst aus der immer strammeren Leistungs- und Aromenspirale der heutigen Sterner gedreht. Jetzt fin­-det es mit klugen Festpreismenüs ein breites Publikum, das auch den locke­ren Bistrocharakter und den Superservice schätzt. Im aktuellen Wintermenü feierte Birkenrinde im Dessert fröhliche Auferstehung – ein Produkt, das über Jahrhunderte im gesamten nordischen Raum zwischen Sibirien und Kanada Verwendung fand, ursprünglich als Brot­ersatz, später auch als Aromat. Drei Gänge, 50 Euro. Geht eben auch. Wo das Alchemist 100 Tüftler in der Küche be­schäftigt, setzt das Høst auf alles, was schon auf der Speisekarte schmeckt, Sellerie im Salzteig mit Trüffel und Wacholder, Jakobsmuscheln mit Dill und Meerrettich, gebackener Kabeljau mit Miesmuscheln ...

Die neuen Erschließungen

Refshaleøen (Refsälöhün ausgesprochen) und Nordhavn sind die zwei mit großem Aufwand realisierten Baugebiete innerhalb des Großraums Kopenhagen. 

Man kann auch im Winter den nicht umsonst als zäh geltenden Dänen beim Baden im Kanal zuschauen, die abwechslungsreiche Architektur erschließen, im umweltfreundlichs­ten Heizkraftwerk der Welt (Copen Hill) Ski fahren oder mit Blick aufs Wasser einen Sundowner genießen, Sterneküche probieren oder im Loft auf luftigen Höhen und mit tollem Rundblick Smörrebröd von der Etagere, Minibrot, das in Finan-ciers-Formen gebacken wurde, und Saisonales futtern.

---

Praktisches: 

Vom Flieger dauert’s mit der Metro höchstens 20 Minuten bis zur Innenstadt. Der öffentliche Nahverkehr ist hervorragend, einen City Pass kauft man per App. Die Innenstadt mit der Altstadt Indre By ist zu Fuß gut zu erkunden. Im Jahr 2021 wurde Kopenhagen zur sichersten Stadt der Welt gewählt. Jeder spricht Englisch, viele auch Deutsch, man ist zwar zurückhaltend, aber hilfsbereit. 

Weitere Artikel aus der Rubrik Around the World

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!