Oslo - Feinschmecker-Paradies für Gastarbeiter
Foto: iStockphoto

Oslo – Feinschmecker-Paradies für »Gastarbeiter«

Ok, ein teurer Spaß ist gutes Essen in Norwegen, andere Vorurteile sollte man allerdings revidieren

von Wolf Demar
Montag, 16.03.2020
Artikel teilen: 

Am Talent mangelt es norwegischen Köchen offensichtlich nicht. Mit fünf Siegen und weiteren fünf Top-3-Platzierungen bei der inoffiziellen Koch-Weltmeisterschaft Bocuse d’Or ist Norwegen noch vor Frankreich die erfolgreichste Nation der Welt. Gleichzeitig stehen in fast allen Top-Restaurants von Oslo ausländische Köche am Herd. Wie kann das sein?

Es wird vielfach vergessen, dass die Revolution der New Nordic Cuisine auch deshalb so nachhaltig wirkte, weil sich die skandinavische Restaurantlandschaft bis zur Jahrtausendwende äußerst armselig zeigte. Es gab zwar ein paar teure Feinschmecker-Tempel, wie etwa den Operakällaren in Stockholm, doch wurde dort mit überwiegend importierten Produkten klassisch französisch gekocht. Die protestantische Arbeitsethik in Skandinavien steht Völlerei und Trinkgenuss doch sehr entgegen. Alkoholmonopole mit den dazugehörigen hohen Steuern machten (und machen) feine Restaurant-Besuche in allen skandinavischen Ländern zu einer kostspieligen Sache.

Spätstarter Oslo

Dann traten Köche wie René Redzepi (und der zu Unrecht oft vergessene Noma-Mitbegründer Mads Refslund) auf den Plan und machten Kopenhagen praktisch über Nacht zu einer Feinschmecker-Destination. In deren Kielwasser konnten Chefs wie Rasmus Kofoed (Geranium), Søren Selin (AOC) und Christian Puglisi (Relæ) zu neuen Ufern aufbrechen. Magnus Ek (Oaxen Krog), Mathias Dahlgren (Matbaren) und Björn Frantzén (Frantzén) in Stockholm sowie Magnus Nilsson mit seinem abgeschieden gelegenen Fäviken sorgten für einen frischen Wind in Schweden. Norwegen hat diesen ku­linarischen Aufbruch zunächst verschlafen. Erst in den letzten Jahren hat sich in Oslo eine dynamische und vielseitige Restaurantszene entwickelt, die aber zumeist von ausländischen Köchen befeuert wird.

Maaemo
Das »Maaemo« steht mit seinen drei Michelin-Sternen an der Spitze
der Osloer Restaurants. Küchenchef und Mitbesitzer ist ein Däne.
Foto: Maaemo

Für die meisten Norweger ist das Arbeiten in der Gastronomie einfach unattraktiv, weil man in anderen Branchen wesentlich leichter wesentlich mehr Geld verdienen kann. Für die meisten Ausländer lohnt es sich jedoch, hier zu arbeiten, weil das Lohnniveau vergleichsweise hoch ist und man sich wirklich etwas ersparen kann«, meint Matthias Bernwieser, der im lässigen 1-Sterne-Restaurant Galt groß aufkocht. »Bei uns im Maaemo sind 39 von 40 Mitarbeitern Ausländer. Das war für mich am Anfang überraschend, aber es funktioniert sehr gut. Abgesehen vom langen Winter ist das Leben hier wirklich attraktiv«, schlägt die Österreicherin Helena Jordan, die im einzigen 3-Sterne-Restaurant der Stadt den Empfang leitet, in die gleiche Kerbe.

Die Mutter Erde

Esben Holmboe Bang ist Däne, Küchenchef und Mitbesitzer des Maaemo, das vor Kurzem an eine neue Adresse übersiedelt ist. Obwohl das alte wie auch das neue Maaemo sehr modern wirken, hat sich Esben einer raffinierten, aber im wahrsten Sinn des Wortes bodenständigen Küche verschrieben. Maaemo bedeutet so viel wie Mutter Erde. Esben verwendet ausschließlich norwegische Produkte, was vor allem im langen Winter mitunter schwierig ist. »Fisch und Meeresfrüchte gibt es das ganze Jahr lang in Top-Qualität, aber was das Gemüse betrifft, mussten wir uns natürlich etwas einfallen lassen. Wir arbeiten dabei viel mit Fermentation, trocknen Pilze und Kräuter oder legen Obst und Gemüse ein. Obwohl wir im Sommer aus dem Vollen schöpfen können, finden viele unserer Gäste die Wintermenüs noch spannender«, meint Esben.

Esben ist vor 13 Jahren nach Norwegen gekommen und hat das Maaemo 2010 aufgesperrt. Die Öffentlichkeit war ob des radikalen Konzepts und der hohen Preise sehr skeptisch, doch schon nach 15 Monaten wurde das Restaurant mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet, drei Jahre später folgte der dritte Stern – eine Premiere für ganz Skandina­vien. Seither ist das Maaemo Abend für Abend bis auf den letzten Platz aus­gebucht, wobei der Anteil an internationalen Gästen überdurchschnittlich hoch ist.

So ganz wollen es die Norweger nicht hinnehmen, dass es ein Däne ist, der ihre Heimat in kulinarische Formen gegossen hat. Esben selbst sieht das nicht so eng: »Ich lebe seit 13 Jahren hier. Norwegen ist längst meine kulinarische Heimat geworden. So groß sind die kulturellen Unterschiede zwischen unseren Ländern auch wieder nicht, wenngleich sie natürlich immer wieder betont werden. Und was die Kochtechnik betrifft, macht es ohnehin keinen Unterschied, wo man sich befindet – die ist in Oslo die gleiche wie in Tokio, New York oder Paris

Statholdergaarden
Das Statholdergaarden gehört zu den wenigen klassischen
norwegischen Sterne-Restaurants. Foto: Statholdergaarden

New Nordic – lässig umgesetzt

So elaboriert wie im Maaemo geht es in den anderen Sterne-Restaurants mit nordischer Küche nicht zur Sache. Das Galt ist extrem lässig eingerichtet und zielt damit auf ein relativ junges Publikum ab. Entsprechend sensibel werden hier die Preise gestaltet. »Es ist immer eine Gratwanderung, weil wir zugänglich bleiben wollen, aber gleichzeitig die hohen Fixkosten verdienen müssen. So ist unser sechsgängiges Tasting-Menü für rund 100 Euro extrem günstig kalkuliert, was gerade kostendeckend ist. Dafür haben wir stets zwei Gerichte dabei, wo kostenpflichtige Extras wie Kaviar möglich sind«, erklärt Bernwieser, der gemeinsam mit den Partnern Bjørn Svensson, Daniel Hasvold Jung und Kine Jøndal am Restaurant beteiligt ist.

Deutlich größer, aber ebenfalls extrem cool gestaltet ist das Kontrast, wo der Schwede Mikael Svensson eine moderne Küche mit saisonalen norwegischen Produkten kocht.

Savoir-vivre – Teil 1

Das einzige klassische norwegische Restaurant mit einem Michelin-Stern ist das Statholdergaarden, wo mit Bent Stiansen auch der einzige norwegische Sternekoch am Werk ist. Stiansen hat im Jahr 2000 übrigens als erster norwegischer Koch den Bocuse d’Or gewonnen. In seinem extrem eleganten Restaurant kocht Stiansen so, wie man es sich erwartet: klassisch französisch mit ein paar wenigen norwegischen Zitaten. Hier gilt es nicht, neugierige Gäste zu überraschen, sondern eine betuchte Klientel gediegen zu verwöhnen.

Ulrik Jepsen
Ulrik Jepsen setzt im
»À L’Aise« auf klassische
französische Küche mit
ebensolchen Zutaten.
Foto: À L’Aise

Savoir-vivre – Teil 2

Ebenfalls klassisch französisch, aber irgendwo noch einen Tick spannender ist das, was Ulrik Jepsen im À L’Aise kocht. Auch Jepsen kommt – so wie viele Top-Chefs in Oslo – aus Dänemark. Aber er liebt die französische Küche, die er unter anderem mit Instrumenten wie einer klassischen Geflügel­presse perfekt in Szene setzt. Die dazugehörigen Enten bezieht er zwar aus Frankreich – für ihn gibt es einfach keine besseren – bei den Meeresfrüchten und beim Gemüse setzt er jedoch konsequent auf norwegische Produkte. »Langusten und Jakobsmuscheln aus Norwegen sind die besten der Welt. Fleisch und Geflügel sind noch nicht auf diesem Niveau und zudem extrem teuer. Was mich aber wirklich begeistert, ist das Gemüse, das wir dreimal die Woche von einer kleinen Bio-Farm in Südnorwegen beziehen. Viele norwegische Gäste wissen gar nicht, wie gut ihr eigenes Gemüse schmeckt, denn in den meisten Supermärkten gibt es nur Import-Ware, weil diese günstiger ist«, sagt Jepsen.

Winebars, Coffeeshops, Craftbier & Cider

Der kulinarische Aufbruch, der sich in der steigenden Qualität der Top-Restaurants widerspiegelt, zeigt sich auch bei Wein, Kaffee, Bier sowie Cider. In der Vergangenheit haben die Norweger Unmengen an minderwertigem Kaffee getrunken. Heute ist Oslo zu einem
Zentrum zeitgemäßer Kaffeekultur geworden. Während sich in den anspruchsvollen Restaurants ein wohlhabendes Publikum immer noch an Champagner und Weinen aus Bordeaux und Burgund erfreut, trinken die Jungen Natural Wines in lässigen Weinbars.

Brauerei Aegir
Das Ægir Brauerei-Pub überzeugt einerseits mit seiner imposanten
Architektur und andererseits mit seinem kreativen Bierangebot.
Foto: Aegir

Weine werden zwangsläufig importiert, doch beim Bier sind lokale Produzenten drauf und dran, interna­tionalen Konzernen vor allem im Premiumsegment Marktanteile abzunehmen. Paradoxerweise haben sich die hohen Alkoholsteuern in gewisser Weise als Segen für kleine Brauereien erwiesen. Während ambitionierte Craftbier-Brauer in traditionellen Bierländern wie Deutschland oder Tschechien nur sehr schwer Erfolg haben, weil ihre Biere oft ein Vielfaches eines normalen »Industriebieres« kosten, sind norwegische Craftbiere – relativ betrachtet – nur geringfügig teurer als importierte Markenbiere. Eine der besten Craftbier-Brauereien heißt Ægir und wurde 2007 eröffnet. Das Gebäude vom Ægir-Brauerei-Pub ist heute eine der größten Attrak­tionen von Flåm, das rund 70 Kilometer östlich von Bergen liegt. Der Baustil ist von der nordischen Mythologie inspiriert und erinnert von außen an eine Stabkirche. Drinnen fühlt man die Wärme, die der neun Meter hohe Kamin ausstrahlt. Ebenfalls Kultstatus haben Biere der NØGNE Ø Brauerei.

Rot, gelb und grün

Und dann gibt es noch das Trendgetränk Cider, mit dem norwegische Produzenten auch international erfolgreich sind . Im Mai blühen im Südwesten Norwegens am Sognefjord und am Hardangerfjord Zehntausende Apfelbäume, wo laut Einheimischen »die besten Äpfel der Welt« von Hand geerntet und zu exquisitem Cider verarbeitet werden.

2019 gewann Norwegen zwei Gold- und sechs Silbermedaillen bei den CiderWorld Awards in Frankfurt. Seit 2011 ist die Marke »Hardanger Cider« wie die »Champagne« eine geografisch geschützte Bezeichnung. Die verschiedenen Apfelsorten entlang der Fjorde sind so vielfältig wie die französischen Trauben. Mittlerweile sind mehr als 50 Obstbauern Mitglied in der Cider-Gilde von Hardanger.

Kurzum: Norwegen ist drauf und dran, eine echte Genießernation zu werden. Auch wenn das Preisniveau vergleichsweise hoch ist, lohnt sich ein Besuch für kulinarisch interessierte Feinschmecker.


Wendelboe
Foto: Wendelboe

Kaffetørst

Zugegeben, die Finnen trinken noch mehr, aber mit 7,3 Kilo jährlichem Pro-Kopf-Verbrauch liegen die Norweger beim Kaffeekonsum auch ganz vorne. Sie haben sogar ein eigenes Wort für die Lust auf Kaffee erfunden: Kaffetørst!

Die Menge sagt jedoch noch nicht allzu viel über die Qualität aus. Und um diese war es in der Vergangenheit nicht allzu gut bestellt. Kaffee wurde in Unmengen zu Hause oder im Büro getrunken und zumeist in billigen Filtermaschinen zubereitet. Eigentlich halb so schlimm, denn der Kaffee war ohnehin von billigster Qualität und wurde fast ausschließlich gemahlen verkauft.

Themen wie Herkunft, Frische oder Röstung spielten keine Rolle.

Erst als die ersten Espresso-Maschinen in italienischen Restaurants Einzug hielten, wurde Kaffee zu einer öffentlichen Angelegenheit. Seit rund 15 Jahren gibt es auch in Oslo ambitionierte Kaffeebars, in denen außergewöhnliche Kaffeespezialitäten in verschiedensten Zubereitungsformen angeboten werden. Coldbrew oder Aeropress haben dort der klassischen Espressomaschine den Rang abgelaufen. Oslo ist zu einer richtigen Kaffee-Metropole geworden.

Einer der wichtigsten Protagonisten dieses Wandels ist Tim Wendelboe, der sich zuerst als Barista im Kaffeehaus Stockfleths einen Namen machte und 2004 im dritten Anlauf die Barista-Weltmeisterschaft gewann. Nachdem das Stockfleths unter seiner kräftigen Mithilfe auf sechs
(heute schon neun) Filialen gewachsen war, wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnete seine eigene Kaffeebar.

Wendelboe begann selbst Kaffee zu rösten und Kaffeeproduzenten in der ganzen Welt zu besuchen, um herauszufinden, welche Parameter für die Güte einer ausgezeichneten Tasse Kaffee verantwortlich sind – egal mit welcher Technik sie schlussendlich zubereitet wird. Also hat sich der Qualitätsfanatiker selbst eine kleine Hacienda im kolumbianischen Hochland zugelegt, um auch den letzten Geheimnissen des Kaffees auf den Grund zu gehen.

Weitere Artikel aus der Rubrik Around the World

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!