Salat in einer Schüssel
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Sonderkost ist das das neue Sexy?

von Gabriele Gugetzer
Donnerstag, 03.05.2018
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Wenn sich selbst Branchenriesen wie McDonald’s und die Rügenwalder Mühle auf Sonderkostformen einstellen, sollte man vegan und zuckerfrei ernst nehmen. McDonald’s muss sich fragen lassen, wieso es ihre Burgerbrötchen nicht als glutenfreie Variante gibt. Die Rügenwalder Mühle fährt mit ihrer Veggie-Wurst richtig Taler ein.

Was passiert hier? Anders gefragt: Was schätzen Sie, wie viele Vegetarier und ­Veganer es im deutschsprachigen Raum gibt? Die Interessenverbände operieren mit Kunstzahlen, mindestens ein Drittel aller Schweizer müsse man dazuzählen, jeden vierten Wiener, und auch in Deutschland sei jeder Vierte Veganer oder bestimmt Vegetarier … Tatsächlich ermittelte die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse in Deutschland für 2017 eine Zahl von 5,7 Millionen Menschen, die ganz oder weitgehend auf Fleisch und Fisch verzichten. In Österreich kommt eine Umfrage zu einem in etwa vergleichbaren Ergebnis von etwa 6 % der Bevölkerung, die sich vegetarisch, vegan oder flexitarisch ernähren – also mal Fleisch und Fisch essen und mal nicht. (Für die Schweiz fehlen noch gesicherte Zahlen.)

Entwarnung ist nicht angesagt. Das Thema ist kein reines Großstadt- und Medienvergnügen: Es verändert sich etwas in der Wahrnehmung, bei Verbrauchern und Gästen. Gärtner Olaf Schnelle, der mit »Schnelles Grünzeug« Topgastronomie und Privatkunden beliefert, weiß aus 30 Jahren Berufserfahrung: »Viele Menschen haben keinen eigenen Erfahrungshintergrund mehr zur Lebensmittelentstehung und unterliegen oft unausgegorenen Überlegungen, die zu fragwürdigen Antworten und Verhaltensweisen führen.« Genau hier setzen engagierte Produzenten wie er ein, hier kann auch die Gastronomie Gäste überzeugen. Mit Wissen.

Holen Sie sich die Flexitarier!

Fisch dürfe man nicht essen, die Weltmeere seien ja überfischt, ist so eine typische unausgegorene Überlegung seitens des Gastes. Die Realität sieht natürlich anders aus, wenn die Fanggebiete verantwortlich gemanagt werden. Bestes Beispiel: Alaska-Seelachs. Aber weiß der Gast das? An dieser Schnittstellehakt eine Fortbildungsinitiative zum Fischsommelier ein, die von der IHK in Zusammenarbeit mit dem Projektträger TransGourmet ins Leben gerufen wurde. Hier gibt es die Informationen, die engagierte Fisch-Genießer interessieren.

Auch im hochpreisigen Segment ist das Interesse da, wie ein Angebot aus Londons 5-Sterne-Hotel The Dorchester zeigt, eine Master Class für Lachsfans. Chefkoch Henry Brosi vermittelt die Unterschiede zwischen Wildlachs, Räucherlachs, ­Graved Lachs und zeigt, wie das die Gäste zu Hause hinkriegen. Wahrlich kein Hexenwerk. Quanta costa? Bitte mal kurz setzen: knapp 300 Euro für vier Stunden. Die Flexitarier wollen mit gutem Gewissen genießen und lassen sich das auch was kosten.

Es muss auch nicht jeden Tag Fleisch sein

Felix Schneider vom Sosein hat volles Verständnis für Ernährungsvorgaben seitens der Gäste – »wer körperliches Unwohlsein empfindet, möchte dem auf die Spur gehen«. Im fleischlastigen fränkischen Umfeld seines Sterne-Restaurants setzt er überdies einen unübersehbaren Kontrapunkt: Gemüse. »Pflanzliche Lebensmittel sind Ergebnis einer deutlich größeren Diversität im Vergleich zu tierischen Produkten. Für uns ist es spannend, sich mit dieser Vielfalt zu beschäftigen.« Das tut er wortwörtlich, er sammelt Pilze, erntet den Restaurantgarten ab. Zugegeben – das sieht alles sehr dekorativ aus, aber das Sosein ist mitnichten der Instagram-Inszenierung verfallen, sondern gefällt dem TripAdvisor-Schreiberling ebenso wie den Kennern. Da muss man schon viel richtig machen, beispielsweise Ausgefallenes aus der Erde ­ziehen, aktuell Douglasie, Dillstrauch, Schlehe, Sanddorn, überdies ­Topinambur, der mit Endivie und Verjus veredelt wird. Fleisch und Fisch gibt’s auch, doch das ­verprellt keinen.

Felix Schneider
Fotos: iStockphoto; Christopher Civitillo

Landgasthöfe ganz weit vorne?

Andra Hansen ist Geschäftsführerin in vierter Familiengeneration im Hotel »Zur alten Post« in Büsum. Hier is(s)t man oldschool, gesund, im gemütlichen Rahmen. »Regionalität und Qualität stehen im Vordergrund«, sagt sie. Der Fisch kommt aus nachhaltiger Zucht und Langleinenfang, genau so ist das auf der Karte formuliert. Matjestatar auf Schwarzbrot, Büsumer Krabben in allen Variationen und Dithmarscher Spezialitäten zwischen hausgemachtem Sauerfleisch und süß­saurem Brathering sind Klassiker, die
alle Fans des Herzhaften befriedigen.

Überdies sind Karten für vegetarische und vegane Gerichte in Planung, die interessanterweise »Gäste ansprechen sollen, die nicht unbedingt danach suchen«. Wer das alles affig findet, kriegt Labskaus.

Im Pongau geht man ähnliche Wege. Vitus Winkler führt den Sonnhof mit vier Sternen für das Haus und drei Hauben für die Küche. Vor einigen Jahren entschloss man sich, vegetarisch, vegan und kräuterlastig als Themenschwerpunkte aufzugreifen. »Die enge Zusammen­arbeit mit regionalen Produzenten ist Grund­voraussetzung dafür«, sagt er, der überdies beobachtet, dass die Schere immer weiter auseinandergeht – gewisse Personengruppen sind extrem bewusst, was gesunde Ernährung anbelangt, ein Großteil der Menschen ist wenig interessiert. »Als Gastronom und Koch fühle ich mich manchmal schon wie ein Arzt«, sagt er und meint das nicht nur augenzwinkernd.

Unverträglichkeiten gibt es überall

Wer Hippiekommune und Riesen-WG noch kennt, erinnert sich an die riesigen Esstische, an denen basisdemokratisch über Makrobiotik gestritten wurde. Diese Idylle ist Jahrzehnte her und wirkt im Kloster Hornbach zeitgemäß. Christina Lösch führt das Haus. Fremde sitzen an langen Tischen zusammen, die offene Küche erlaubt den Blick auf Gäste und Köche und ermuntert zum Mitmachen. Die Suppe kommt in schönen alten Terrinen auf den Tisch, man trägt Wildfremden auf, kommt ins Gespräch und erinnert sich daran, vielleicht nur unterbewusst, dass Essen jenseits des Vierertisches auch soziale Schmiere ist, sozusagen. Viel Ablenkung, wenig Unverträglichkeiten?

Manjas Gasthaus Schellenberg liegt in (den) Bergen. Biergarten, Kastanienbäume, Bier und Wurstsalat, Sie wissen schon … aber eben nicht nur! Portobello-­Schnitzel, Wirsing-Involtini und Mangold mit Ziegenkäse-Yufkaröllchen sind hier angesagt. Manja Wolf-Voit, die Betreiberin, hat sogar Stammkunden, die sowohl gluten- als auch laktosefrei bewirtet werden müssen. Sie hat eine sehr erfolgreiche Marktlücke entdeckt, die man in der preissensiblen Ausflugslokalszene nicht erwarten würde.

»Flexitarier als wichtigste Zielgruppe«

Das österreichische Unternehmen Vegini (www.vegini.at) hat sich auf die Herstellung veganer Gerichte spezialisiert – auch für die Gastronomie. Wir sprachen mit Marketingleiter Lukas Wischenbart.

Wie hat sich der vegane Außer-Haus-Markt Ihrer Erfahrung nach in den letzten Jahren entwickelt?
Der Außer-Haus Markt ist für Lebensmittelhersteller sehr wichtig geworden. Das liegt daran, dass sich die Lebensmodelle der Menschen heute im Gegensatz zu früher massiv geändert haben. Dadurch findet ein signifikanter Teil des Lebens heutzutage außer Haus statt, und Zeit zum Kochen zu Hause wird immer knapper.

Stimmt das Klischee, dass der typische Veganer weiblich, jung, urban und gut gebildet ist?
Wir betrachten primär die Flexitarier als Zielgruppe, also Leute, die nur gelegentlich ein Stück Fleisch in ihren Speiseplan einbauen. Das ist auch die am stärksten wachsende Gruppe unter den Ernährungstypen. In dieser Gruppe liegen z.B. in Österreich tatsächlich Frauen mit 33 Prozent deutlich vor den Männern (19 Prozent). Während Absolventen von Pflichtschulen zu rund 21 Prozent Flexitarier sind, zählt bei den Maturanten und Akademikern ein Drittel aller Befragten dazu. Der Grund hierfür liegt jedoch mitunter auch in der Art der beruflichen Tätigkeit (sitzend).

Was hat die Industrie zu bieten?

Dr. Schär hält viele glutenfreie und laktosefreie Produkte vom Brötchen für das Frühstücksbüfett über den Blätterteig bis zur Pizza bereit: Mehle und Teige, Brot und Brot­ersatz, Pasta, Fertiggerichte, Desserts und Süßes vom Schokomuffin über das Hamburgerbrötchen bis zum Croissant. Auf Wunsch werden die Produkte portioniert in Aufbackfolien geliefert, so was verhindert Produktüberschuss und macht’s schnell – nicht jeder Gast hat das Bewusstsein, dass Sonderwünsche länger dauern. Neu sind por­tionierte Weißbrotscheiben.

Seit einigen Jahren hält neben der Kartoffel die Süßkartoffel Einzug. Sie lässt sich ganz vielfältig zubereiten, passt in viele asiatische Gerichte und hat den Bonus, wegen des niedrigeren glykämischen In­dexes (GI) und der appetitlichen Farbe als besonders gesund zu gelten. Kartoffelexperte Aviko hat sich dem Thema in einer an Streetfood angelehnten Optik gewidmet und einen sehr interessanten Koch- und Dar­bietungsfolder zum Downloaden gemacht.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.
Fotos: iStockphoto

Vegetarische Klassiker

Paul Ivi´c kocht im Tian in Wien und München. Als er loslegte, hatte die vegetarische Küche »einen geschmacklich schlechten, langweiligen Ruf – den galt es zu entstauben«, sagt er. Einen Stern und 17 Punkte im Gault & Millau später hat er für Österreich eine Sonderstellung erkocht – so viel Anerkennung gab’s noch nie für vegetarische Küche. Dabei spielt er den Spagat von der Weinbegleitung über das Zehn-Gänge-Menü bis zum wechselnden Mittagstisch. So elegant die Teller, so reduziert die Speise­karte … drei Zutaten pro Gericht werden gelistet, das war’s. Manchmal ist weniger eben mehr.

Das Hiltl in Zürich hat für seine Langlebigkeit sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde und ist immer noch hip. Das liegt vielleicht auch an der augenzwinkernden Präsentation – wer einsteigen will in die fleischlose Materie, ist mit ihren Kochbüchern gut bedient, z. B. »Meat the Green: Das Hiltl-Kochbuch zu ersten fleischlosen Metzgerei der Schweiz« (AT Verlag). Der Hiltl-Burger und das Hiltl-Tatar sind die Renner, ebenso das Büfett mit über 100 vegetarischen und veganen Spezialitäten. 70 Prozent ihrer Gerichte sind mittlerweile »veganisiert«, wie das bei Hiltl heißt, ihre Beliebtheit ist ungebrochen, da können die Gras­esser im Wurzelbunker (so die anfäng­lichen Spitznamen für Gäste und ­Lokal) seit 1898 ein Lied von singen. Die Speisekarte wird übrigens nur zweimal im Jahr erneuert. Nicht alles muss immer gleich neu …

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