Müssen Betriebe dienstliche E-Mail-Adressen an Gewerkschaften herausgeben?
Recht so? Expertenkolumne
von Kristina Harrer-Kouliev/Alexandra SchmidtEs umfasst insbesondere das Recht der Gewerkschaften, in den Betrieben der Arbeitgeber durch den Aushang von Flyern bei den Arbeitnehmern für eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu werben. Dabei muss der Arbeitgeber den Gewerkschaftsvertretern Zutritt zu den Betrieben verschaffen. Er ist generell gehalten, gewerkschaftliche Betätigungsmaßnahmen zu dulden. Gerade nicht verpflichtet ist der Arbeitgeber jedoch zu einem aktiven Tun, so das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in seinem Urteil vom 26. September 2023 (Az.: 7 Sa 3444/22).
Wie weit geht das gewerkschaftliche Betätigungsrecht?
Konkret ging es um einen Sportartikelhersteller mit rund 5.400 Mitarbeitern. Die interne Kommunikation im Unternehmen erfolgt größtenteils über dienstliche E-Mail-Adressen sowie das firmeneigene Intranet. Die klagende Gewerkschaft forderte vom Unternehmen die Herausgabe aller
E-Mail-Adressen, um entsprechende Werbung versenden zu können. Der Arbeitgeber lehnte dies jedoch ab und argumentierte, dass nur ein Anspruch auf physischen, nicht aber auf digitalen Zugang bestehe. Sowohl das Arbeitsgericht Nürnberg als auch das LAG Nürnberg wies die Klage der Gewerkschaft ab. Ein Anspruch auf Herausgabe der dienstlichen E-Mail-Adressen der Mitarbeiter bestehe nicht.
Mitarbeiter haben Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Das LAG begründete dies damit, dass der Arbeitgeber zwar das gewerkschaftliche Betätigungsrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG zu dulden habe, dieses ihn aber gerade nicht zu einem aktiven Tun zwinge. Bei der Herausgabe von E-Mail-Adressen an die Gewerkschaft handele es sich nicht um ein passives Dulden von gewerkschaftlichen Betätigungsmaßnehmen. Die damit einhergehende Nachpflege der Verteiler sowie etwaige Programmierarbeiten können die technischen und personellen Ressourcen des Arbeitgebers übermäßig beanspruchen, sodass es sich hierbei um ein aktives Tun handele. Zudem stünden datenschutzrechtliche Vorgaben dem Herausgabeinteresse entgegen, da das Interesse der Mitarbeiter an ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Interesse der Gewerkschaft an Mitgliederwerbung überwiege.
Bewertung und Aussicht
Die Entscheidung des LAG ist zu begrüßen, da es den Mitwirkungspflichten seitens der Arbeitgeber im Rahmen gewerkschaftlicher Betätigungen eine eindeutige Grenze setzt. Vor dem Hintergrund, dass die Digitalisierung auch in der Arbeitswelt immer weiter voranschreiten wird, wäre an dieser Stelle für beide Seiten mehr Rechtsklarheit wünschenswert.
Gegen das Urteil des LAG hat die klagende Gewerkschaft unter dem Aktenzeichen 1 AZR 33/24 Revision beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt eingelegt. Der Termin für eine mündliche Verhandlung vor dem BAG wurde erst für das Jahr 2025 angesetzt. Es bleibt also abzuwarten, wie das höchste Arbeitsgericht den Fall beurteilt.
Die Autorinnen
Kristina Harrer-Kouliev
Kristina Harrer-Kouliev ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Leiterin der Rechtsabteilung des BdS sowie ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht in Berlin. Ihr Jurastudium hat sie an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen absolviert.
Alexandra Schmidt
Alexandra Schmidt ist seit Januar 2023 als Syndikusrechtsanwältin und Referentin beim Bundesverband der Systemgastronomie in München tätig. Sie studierte Jura an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg und an der Ludwig-Maximilians-Universität in München