#MeToo@Gastgewerbe
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#MeToo@Gastgewerbe

von Sebastian Bütow
Sonntag, 04.11.2018
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Chefkoch-Hände, die sich immer mal wieder in Richtung gewisser Körperteile verirren. Kollegen, die ständig Sprüche aus der untersten Schublade reißen. Und dann wären da noch Gäste, die beim Dessert-Genuss keinen Hehl daraus machen, dass sie gerne auch die Kellnerin vernaschen würden. Zumutungen wie diese sind mit Sicherheit nicht die Regel in der Gastronomie – aber es gibt sie.

Die meisten Beschwerden gibt es im Gastgewerbe

Laut einer aktuellen US-Studie der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC), einer Behörde, die Diskriminierung am Arbeitsplatz entgegenwirken soll, sind Gastronomie und Hotellerie sogar das Belästigungsgewerbe Nummer eins, aus diesen Branchen gingen die meisten Beschwerden ein.

Die sogenannte »#MeToo-Debatte«, ausgelöst im Oktober 2017 nach dem Skandal um den sexuell übergriffigen Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, sorgte dafür, dass das Ausmaß sexueller Belästigung in sämtlichen Branchen und Lebensbereichen unter die Lupe genommen und angeprangert wurde. Der Hashtag »Me-Too« (»Ich auch«) verbreitete sich im Nu – millionenfach und weltweit. Frauen, die zuvor geschwiegen hatten, solidarisierten sich nicht nur im Netz, fanden nun den Mut und meldeten sich zu Wort.

Sexismus hat – leider – Tradition

Traditionell hat das Gastgewerbe mit sexistischen Tendenzen zu kämpfen, die Ursachen liegen auf der Hand: patriarchalische Machtstrukturen, Macho-Verhalten in der Küche, Gruppendynamiken aus Männerrunden, alkoholisierte und somit hemmungslose Gäste. »Ständige Unterdrückung ist ein Mittel, um ein männlich bestimmtes System aufrecht zu erhalten«, beklagte die dänische Weltstar-Köchin Trine Hahnemann kürzlich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, »aber damit muss man sich nicht abfinden.«

Wo liegen die Grenzen zwischen zweifelhaften Komplimenten und verbalen Unerträglichkeiten? Wie reagiert man optimalerweise, wenn Gäste die Zumutungslinie überschreiten? Was kann man tun, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der weibliche Mitarbeiterinnen besser geschützt werden vor sexistischen Verhaltensweisen? Diese beginnen nicht erst mit heftiger Wortwahl oder unerwünschten Berührungen, wie der Erfahrungsbericht von Nadine S.* zeigt.

»Ich liebe meine Arbeit. Aber der Sexismus nervt mich«

Die Münchnerin arbeitet erst seit drei Jahren in der Gastronomie. »Ich hatte von meinem gelernten Beruf in der Sozialarbeit die Nase voll, nahm eine einjährige Auszeit in London. Dort entdeckte ich mein Herz für die Gastronomie, jobbte in verschiedenen Locations«, erzählt die 37-Jährige.

»In München habe ich zwei Jobs, als Kellnerin in einem Café sowie bei einem Catering- und Event-Unternehmen, für das ich auch koche. Ich liebe meine Arbeit. Aber was mich wirklich manchmal nervt, ist sexistisches Verhalten von Kollegen und Gästen«, so Nadine S. (*Name geändert)

Dabei ist Sexismus ein weites Feld, das nicht erst bei Anmach-Sprüchen und unsittlichen Berührungen beginnt. Der Duden definiert Sexismus als »Haltung, Grundeinstellung, die darin besteht, einen Menschen allein auf Grund seines Geschlechts zu benachteiligen; insbesondere diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen«. Wenn etwas als Übergriff empfunden wird, muss es auch als solcher akzeptiert werden.

Kürzlich feierte ein älterer Herr mit einigen Freunden seinen Geburtstag im Café von Nadine S. »Es wurde immer heiterer mit jeder weiteren Flasche Wein. Er wollte mich immer anfassen, was irgendwann nicht mehr auszuhalten war. Sie begannen, ihre Hahaha-Altherrenwitzchen rauszulassen. Wie zum Beispiel: ›Oh, ihr beiden Hübschen seid heute zu zweit. Dann muss ich mich aber zusammenreißen‹.«

»Meine Verteidigungsstrategien: Ironie und Humor«

Das ginge ihr ins eine Ohr rein und durchs andere wieder heraus, sagt Nadine S. »Meine Verteidigungsstrategien sind Ironie und Humor. Dann greife ich den anderen nicht so hart an. In dem Fall mit dem älteren Herrn kann ich das durchgehen lassen, auch wenn’s nervt.« Es gab aber auch schon Gäste, bei denen sie resoluter werden musste. »Hast du einen Vogel? DAS machen wir nicht«, wehrte sie sich etwa nach Berührungen, und danach war auch Ruhe. Einen wirklich krassen Belästigungs-Fall habe sie noch nicht erlebt. »Aber ich weiß, dass Kolleginnen, die Anfang 20 und wunderhübsch sind, ganz andere Dinge ertragen mussten.«

Züricher Praktikantin zog gegen Küchenchef vor Gericht

Wie etwa die Koch-Praktikantin in Zürich, die von ihrem Chef so belästigt wurde, dass sie vor Gericht zog. Einmal packte er sie an ihrer Bluse, die Knöpfe sprangen auf. Scham und Angst führten bei der jungen Frau nach eigenen Angaben zu Panikattacken.

Nach einer Reihe weiterer Herabwürdigungen – zum Beispiel dem Vorschlag, sie solle sich den Intimbereich rasieren, einer Vergewaltigungs-Androhung und einem Schlag auf den Hintern – leerte die Praktikantin nach vier Wochen ihren Garderobenschrank, beschloss, nie wieder in diese Küche zurückzukehren, und ging juristisch gegen den Koch vor. In der Schweiz erregte der Fall mediales Aufsehen.

Verurteilt in zweiter Instanz

In erster Instanz wurde die Klage abgeschmettert. Die Richterin sprach den Küchenchef in allen Punkten frei. Ihre Begründung: Ob diese Tatbestände im strafrechtlichen Sinne relevant seien, ergebe sich im Kontext, in dem sie stattfänden. Nach dem Motto: Wo sexistische Umgangsformen an der Tagesordnung sind, muss auch damit gerechnet werden, das habe sie sich von anderen Angestellten bestätigen lassen.

Das (erste) Urteil zeigt: Sexismus und Belästigung werden von manchen immer noch als Bagatelle angesehen. Ganz egal, ob das Erlebte für Betroffene schlimme Folgen hat. Erst in zweiter Instanz wurde der Koch verurteilt, wegen mehrfacher sexueller Belästigung und mehrfacher Tätlichkeit schuldig gesprochen: 700 Franken (630 Euro) Bußgeld und einige tausend Franken an Verfahrenskosten. Der damals 42-Jährige verlor auch seinen Job. Vor Gericht sagte er, solch sexistische Sprüche seien üblich und seien nicht explizit an die Praktikantin gerichtet gewesen, sie habe diese einfach mit angehört. Das zotige Gerede unter den Männern in der Küche fand täglich statt und war grob, deftig und vulgär, gab er zu.

Sexuell motivierte Berührungen sind strafbar

Für manche Männer sicherlich unterhaltsam, für die Kolleginnen jedoch weniger. Fakt ist: Niemand muss sich gegen seinen Willen anfassen lassen. Unerwünschte körperliche Annäherungen sind strafbar. So stellt in Deutschland der verschärfte Paragraph 184i seit November 2016 jede Berührung unter Strafe, die sexuell motiviert ist – wenn die berührte Person sich davon belästigt fühlt.

Richter raten sogar, die Polizei anzurufen, wenn Chefs, Kollegen oder Gäste »touchy« werden, und den Täter umgehend zu fotografieren. Vor der Angst, wegen »Aussage gegen Aussage« und »Im Zweifel für den Angeklagten« vor Gericht zu scheitern, wenn es keine Zeugen gibt, sollte man nicht kapitulieren: Wenn das Gericht die Schilderungen des Tatopfers überzeugender und nachvollziehbarer findet, werden die Richter den Angeklagten verurteilen.

Wer es bei einer Gelben Karte belassen will: Ein unmissverständliches »Würden Sie mich bitte zum Restaurantchef begleiten?« hat schon so manchen unangenehmen Gast verstummen oder freiwillig verschwinden lassen.

Kann helfen: im Team über das Thema Sexismus diskutieren

Was kann man tun für den Klimawandel in der Branche? Es kann z.B. helfen, im Team darüber zu sprechen, was Sexismus überhaupt ist. Jede/r hat andere Sichtweisen, deshalb sollte man sich darüber austauschen. So kann ein Kollege ein Verständnis dafür entwickeln, warum seine Kollegin sein Verhalten als sexistisch bewertet, und in Zukunft besser Grenzen ziehen.

Umgekehrt könnte Betroffenen klar werden, dass nicht jede vermeintliche sexistische Handlung auf Geschlechter-Vor­urteile zurückzuführen ist. Manchmal
werden Äußerungen auch schlichtweg überzogen interpretiert. Reden hilft immer – Gespräche können Konflikten vorbeugen und alle Teilnehmenden für das Thema sensibilisieren.

Maria Rehermann
Maria Rehermann,
Sommelière in London,
findet, dass sich die Situation
für Frauen verbessert hat.
Foto: Nils Hasenau

»Es ist besser geworden«, findet Sommelière Maria Rehermann

Maria Rehermann, erfolgreich als Sommelière in London und Gründerin des Frauen-Netzwerks »Femwine«, startete ihre Karriere in der Burg Wernberg im Oberpfälzer Wald. »Sexismus ist auf dem Land natürlich verbreiteter als in Städten. Damals gab’s vom Chef ständig einen Klaps auf den Po, Sex-Sprüche waren normal, da ging es schon sehr heiß her. Das war einfach so, ich bin deswegen aber keineswegs traumatisiert. Aber ich glaube, das ist schon besser geworden als damals«, so Rehermann.

Auch in der gehobenen Gastronomie erlebte sie Sexismus – von Gästen. »Einmal wurde mir bei einer Hochzeit, es war schon fünf Uhr morgens, an den Hintern gefasst. Das Problem ist, dass man in solchen Momenten erstmal so perplex ist, nicht weiß, wie man richtig reagieren soll. Darf ich mich überhaupt wehren? Der klassische Dienstleistungsgedanke ›Der Gast ist König‹ steckt in einem drin, gerade bei Sterne-Restaurants, wo gewisse Gäste einen Heiligenstatus genießen. Das macht unsicher, inwieweit man sich überhaupt wehren darf«, so Rehermann.

»Je höher das Machtgefälle, desto mehr Sexismus«

Mit den Jahren habe sie gelernt, mit solchen Situationen umzugehen – mit Sätzen wie »Es ist ja schön, dass Sie sich so wohlfühlen, aber DAS geht jetzt nicht!«. Rehermann ist überzeugt: Je höher das Machtgefälle, desto eher kann Sexismus in einem Betrieb zu einem Problem werden. »Es muss Hierarchien geben in der Gastronomie, keine Frage, aber bei Zuständen, bei denen sich keiner traut, gegen die Vorgesetzten etwas zu sagen, gibt es natürlich mehr Spielraum für solche Dinge.«

Vorgesetzte sollten ihre Geschlechter-Stereotypen hinterfragen

Wie heißt es so schön? Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken. Vorgesetzte sollten ihr eigenes Verhalten kritisch hinterfragen, sich ihre Geschlechter-Stereotypen bewusst machen und sie über Bord werfen. Tun sie es, werden auch die Mitarbeiter weniger sexistisch agieren. Sagen Vorgesetzte klar an, dass sie sexistisches Verhalten nicht tolerieren, schrecken sie damit Täter ab – und ermutigen auch die Opfer, sich zu wehren.

Sexistische Gäste rausschmeißen? Aber sicher doch!

Oft wird von Kellnerinnen erwartet, Belästigungen aus­zuhalten und weg­zulächeln. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Chefs sollten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versichern, dass sie belästigende Gäste jederzeit rausschmeißen dürfen. »Man muss in Betrieben ein Klima schaffen, dass es Anlaufstellen gibt, wenn Belästigungs-Vorfälle passiert sind«, fordert die Berliner Vegan-Köchin und Autorin Sophia Hoffmann.

Allein die Existenz von Sexismus-Beauftragten könnte auf den einen oder anderen Sprücheklopfer eine abschreckende Wirkung haben. »In Großbritannien werden immer mehr Mitarbeiter professionell geschult, wie sie sich bei Belästigungen verhalten sollen. Ich hoffe, dieser Trend kommt auch zu uns.«

Ausgeglichene Teams

Sophia Hoffmann
Vegan-Köchin und Autorin
Sophia Hoffmann fordert
mehr Gehör für Betroffene.
Foto: Lars Walther

Auch bei Team-Zusammenstellungen können Chefs Sexismus vorbeugen, denn am häufigsten passiert Unangenehmes, wenn Frauen sich in einer deutlichen Minderheit befinden. Weil sie dann logischerweise kaum Chancen haben, sich zur Wehr zu setzen. In Trine Hahnemanns Kopenhagener Unternehmen »Hahnemanns Køkken« beträgt das Männer-Frauen-Verhältnis 50:50.

Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, ein belästigungsfreies Klima zu schaffen. Hahnemann: »Ich denke, dass gerade eine Bewegung stattfindet. Auf einem internationalen Symposium in Kopenhagen diskutierten jüngst Sterne-Köche über Sexismus und Lösungsansätze. Ein Paradigmen-Wechsel muss her, der militärische Duktus in den Küchen weg. Es kann nicht sein, dass alle Frauen, die ich aus der Gastronomie kenne, schon sexuelle Übergriffe erleben mussten.«

Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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