Wir sind  die Roboter
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Wir sind die Roboter?

Chancen und Grenzen der Digitalisierung

von Michael Eichhammer
Dienstag, 05.07.2022
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Die Corona-Pandemie gilt gemeinhin als Katalysator der Digitalisierung im Gastgewerbe. Elektronische Kassensysteme, Online-Speisekarten, E-Payment und digitaler Check-in sind bis heute geblieben. Beispielsweise ist die Marke Gastronovi in aller Munde mit ihren All-in-one-Kassensystemen, die cloud-basiert arbeiten. Firmen wie das Start-up Bill Please bieten Bezahlsysteme, dank derer die Gäste nicht mehr auf die Bedienung warten müssen, sondern mit dem eigenen Smartphone per QR-Code bezahlen. Doch während digitale Frontoffice-Tools der neue Standard sind, werden die Möglich­keiten und Vorzüge digitaler Helfer im Backoffice oft noch zu sehr vernachlässigt. 

Roboter an der Kaffeemaschine
Mechanische Roboter sind heute imstande, vollautomatisch
Getränke zuzubereiten und kontaktlos bereitzustellen.
Foto: Coffeema

»Noch immer scheinen Excel und Notizzettel die beliebteren Hilfsmittel des Personalmanagements zu sein«, heißt es von Planday. Das Unternehmen möchte Gastronomen mit seiner Personalmanagement-Software den Alltag erleichtern. Die Marke Gastfreund bietet mit der neuen Hotel-Operations-Plattform Hotelboard eine Komplettlösung für Gastgeber, die Gästebetreuung, Teamkommunikation und Aufgabenmanagement vereint. Teammitglieder können per Smart­phone oder Tablet darauf zugreifen. Die Rechnungsverwaltung lässt sich digitalisieren, ebenso wie die Inventur. Software wie die Gestin-77 App Suite von Classix Software bietet eine cloudbasierte Lösung, die den Nutzer intuitiv durch den Inventurprozess führt. Property-Management-Systeme wie Clock PMS oder das Guestline PMS unterstützen alle Abteilungen vom Frontoffice über das Housekeeping bis zur Buchhaltung. Sogar die Küche wird immer digitaler. In der Smart Kitchen werden Geräte »intelligent«, lassen sich vernetzen, Daten können von einem anderen Ort aus »remote« auf die Küchengeräte gespielt oder in Echtzeit abgerufen werden. Doch die Frage, die wir hier klären, lautet: Wo ist der klare Mehrwert der digitalen Tools und wo ist »analog« menschelnd nach wie vor unschlagbar?

Zwei Roboter an der Kaffeemaschine
Toller Eyecatcher für die Hotellobby: die Knext Plug & Play
Barista Bar bietet 24-Stunden-Service. Foto: Coffeema

Digitaltechnik als Antwort auf den Personalmangel

Bekanntermaßen hat der Gastrosektor durch die Pandemie fast 25 Prozent seiner Mitarbeiter verloren, weil diese in andere Branchen abgewandert sind. Auch wenn es jetzt wieder besser läuft, sind die Nachwehen gerade im Bereich Personal weiterhin deutlich spürbar: Viele ehemalige Mitarbeiter sind – so das Ergebnis mehrerer Untersuchungen – nicht motiviert zu einer Rückkehr ins Gastgewerbe. Offenbar steckt die Furcht vor Kurzarbeit oder gar einem Berufs-Aus noch zu tief in den Knochen. Dazu kommt der demografische Wandel. Diese Nachwuchsschwierigkeiten machen es ebenfalls schwer, geeignetes Personal zu finden. Digitale Technik hilft auch bei dieser fundamentalen Herausforderung der Branche: Manche Aufgaben können dank digitaler Lösungen komplett automatisch ablaufen, wo vorher Mitarbeiter benötigt wurden. Andere digitale Helfer übernehmen Teilbereiche des Arbeitsalltags und setzen somit Manpower an anderer Stelle frei.

Etagenroboter der Getränke zu den Zimmern bringt
Der Etagenservice kann inzwischen durch digitale Helfer erledigt werden. Foto: Robotise

 

Praxisbeispiel: Marriott Hotels

»Die Bequemlichkeit der Online-Buchung, die es uns ermöglicht, Dienstleistungen in Sekundenschnelle zu reservieren, ist ein wichtiger Trend in der Tourismusbranche«, sagt Michaela Belling, Director Communications bei Marriott International. Gäste wünschen sich Optionen wie mobilen Check-in und mobile Zimmerschlüssel für das Smartphone. »Allein in Europa, im Nahen Osten und in Afrika verfügen mehr als 75 Prozent der Marriott Hotels über einen mobilen Schlüssel, einen mobilen Check-in und einen Chat, auf den die Gäste über die App unseres Bonusprogramms Marriott Bonvoy zugreifen können«, verrät sie. »Obwohl Reisende immer unabhängiger werden, sehnen sich viele unserer Gäste immer noch nach persönlichem Kontakt während ihres Aufenthalts«, weiß man bei Marriott. »Daher möchten wir ihnen sowohl ein Hightech- als auch ein Hightouch-Erlebnis bieten, mit Interaktionen mit unseren Mitarbeitern, die für diejenigen, die dies bevorzugen, einen persönlichen Service bieten.«

Intelligente Roboter
Roboter bringen Teller dank feinst-­
justierter Navigation an den Tisch und
ersparen dem Service Wege.
Foto: Humanizing Technologies

Praxisbeispiel: Flemings Hotels

Die Flemings Hotels mit Standorten in Wien, München, Frankfurt, Wuppertal und Bremen haben – wie die meisten Betriebe – die Digitalisierung in der Pandemie besonders stark vorangetrieben. In der Hotelgruppe sieht man die digitalen Lösungen als Service-Optimierung. »Langwierige und langweilige Prozesse werden automatisiert und sowohl der Gast als auch der Mitarbeitende gewinnt Zeit«, erklärt Rob Hornman, CEO der Flemings Hotels. Als Beispiel nennt er den Einbau von Check-in-Terminals im Empfangs­bereich, welche dem Gast das kontaktlose Einchecken ermöglichen. Dieser Service habe aufgrund der Pandemie ein rasantes Wachstum erlebt, da er sehr gut umzusetzen sei und vermehrt von vielen Unternehmen und Hotelgästen gewünscht wird, erläutert der Flemings-Hotels-Chef. »Der nächste Schritt ist nun, durch Digitalisierung das Oldschool-Auschecken einzusparen«, verrät Rob Hornman. »Mit diesen Schritten bleibt mehr Zeit für die Interaktion zwischen Gast und Mitarbeiter, der umso besser auf individuelle Bedürfnisse des Gastes eingehen kann.«

Die Evolution der Roboter

Lino Nilsson von der Coffeema-Inhaberfamilie weiß: Die jüngste Innova­tion seines Hauses ist »ein absoluter Kundenmagnet«. Die Rede ist von der futuristischen Knext Plug & Play Barista Bar. Der Barkeeper? Ein Roboter! Kein menschlich wirkender, wie aus Science-Fiction-Filmen, sondern mechanische Arme, die von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Neben Tee und Kaffeevarianten kann der Robo-Barista Snacks servieren. Die Technik bietet laut Lino Nilsson »immer gleichbleibende Qualität« und »ein einzigartiges Hygienekonzept«. Letzteres, da die Übergabe kontaktlos erfolgt. Ebenso die Bezahlung: Der Gast ordert und bezahlt per Touchscreen. Einsetzbar ist der Hingucker beispielsweise in der Hotel-Lobby, wo er die Gäste auf Wunsch rund um die Uhr bedienen kann.

Ein Roboter als Barista ist eine smarte Lösung gegen den Mitarbeitermangel. Die Knext Plug & Play Barista Bar kann laut Hersteller einen Coffeeshop mit zwei Mitarbeitern ersetzen. Ein anderes Argument für die spektakuläre Lösung: Dank seines Alleinstellungsmerkmals bringt die Roboter-Präsentation auch einen Werbeeffekt mit sich, der wertvolle Mundpropaganda garantiert. 

Auch ohne Roboter steckt heute viel Digitaltechnik in jedem Hightech-Kaffeevollautomaten. Das beweist das Modell Légacy, welches seit Neuestem zum Eversys-Sortiment zählt. Das System ahmt die Handgriffe eines Baristas digital nach und soll eine konstant reproduzierbare Qualität bieten. Dank der eingebauten Telemetrie bekommt der Betreiber in Echtzeit relevante Informationen geliefert: Verbrauchsdaten, die wertvolle Einblicke in das Konsumverhalten der Gäste gewähren. Dazu kommen technische Details und das Wartungsmanagement.

Komplettlösungen vereinen Gästebetreuung
Komplettlösungen vereinen Gästebetreuung, Teamkommunikation und Aufgabenmanagement ‒ und jeder kann digital darauf zugreifen. Foto: Gastfreund GmbH

Auch das Service-Personal kann mithilfe von Robotern entlastet werden. Die Service-Roboter BellaBot und Pudu von Humanizing Technologies beispielsweise können Gegenstände auf Tabletts transportieren. Jedes der vier Tabletts kann mit bis zu 13 Kilogramm Gewicht belastet werden. Seine Fracht kann ein Service-Roboter wie ein Kellner an den Tisch bringen, da er dank künstlicher Intelligenz präzise zu vorgegebenen Punkten navigieren kann. Ein 3-D-Raumscan sorgt dafür, dass der Roboter die Umgebung in Echtzeit wahrnimmt und etwaigen Hindernissen ausweicht und auf Unebenheiten reagiert. Mit Stimme, Mimik und Lichtspielen kann ein Service-Roboter mit dem Gast inter­agieren. Um Sympathiepunkte zu sammeln, erinnert das »Gesicht« des BellaBot an eine Katze. Pudu dagegen macht ein freundliches Gesicht mit­hilfe von Augen und Mund im Display. Auch den Roboter Jeeves der Marke Robotise sieht man im Hotelflur. Er fungiert quasi als fahrende, autonome »Mini-Bar«, welche das bestellte Getränk oder den Snack direkt an die Zimmertür des Gastes bringt. Bezahlen kann der Gast beim Roboter – mit der Zimmer- oder Kreditkarte.

Robotik spielt nicht nur vor den Augen der Gäste in Zukunft eine immer größere Rolle, sondern auch hinter den Kulissen. Die Rede ist von der Bodenreinigung: Roboter von Next fmrobotics decken alle Bereiche von Scheuer-, Kehr- bis Teppichsaugen ab.

Die Grenzen der Digitalisierung

»Wir arbeiten im Gastgewerbe, einer großartigen Branche, deren Aufgabe es ist, Menschen durch Genuss und mit einem schönen Erlebnis ein bisschen glück­licher zu machen – das vergisst man heute oft«, sagt Harald Rohrmoser, Chef bei Knext. »Was spricht also ­dagegen, ein Gästeerlebnis durch den richtigen Einsatz von Technologien und digitalen Prozessen – wie auch beim Autofahren oder Einkaufen – noch besser, konsistenter und zukunftssicherer zu machen?« Er argumentiert, dass die Gäste mit wachsender Zahl Digital Natives sind. Diese setzen zunehmend digitale Möglichkeiten voraus oder treffen darüber sogar ihre Kaufentscheidung.

Digitale Lösungen sparen dem Betreiber Zeit und Geld und optimieren Prozesse. Es wirkt daher verlockend, immer mehr smarte Technik einzusetzen. Doch stößt die Digitalisierung im Gastgewerbe in manchen Bereichen an ihre Grenzen. Immer dann nämlich, wenn sie den Kern der Branche zu unterminieren droht: den menschlichen Faktor. Denn wie kaum eine andere Branche sind Gastronomie und Hotellerie von Kontakten zwischen Menschen geprägt – von den Gästen und Mitarbeitern. In Bereichen wie einem automatisierten Boardinghouse mögen diese Begegnungen verzichtbar sein. In anderen Segmenten dagegen gehört die Interaktion zwischen Gast und Service zum Markenkern. Das Dream-Team ist also, wenn digitale Tools und Menschlichkeit Hand in Hand gehen. Dazu kommt: Mit digi­taler Hilfe kann man sich dem Fach­kräftemangel auch dahingehend entgegenstemmen, dass ein Betrieb mit seiner Aufrüstung in Sachen Digitaltechnik den jungen potenziellen Mitarbeitern signalisiert: Wir sind ein ­attraktiver Arbeitgeber, weil wir am Puls der Zeit sind. Wer die technikaffinen Digital Natives auf diese Weise abholt, kann sich sein Personal eher aussuchen.

Schankroboter Ruby
Ausweg aus dem Mitarbeitermangel? Der Schankroboter Ruby von BHS Datensysteme kann bis zu 180 Getränke in der Stunde produzieren. Foto: BHS Datensysteme

In einem weiteren Punkt ist Digitaltechnik eher Unterstützer als Konkurrent zum Faktor Mensch in Gastronomie und Hotellerie: Wenn die digitalen Tools genutzt werden, um betriebliche Standardabläufe zu übernehmen, für die Menschen eigentlich überqualifiziert sind, können sich die Mitarbeiter wieder verstärkt auf das konzentrieren, was sie am besten können sollten: Gastfreundschaft. »Fakt ist, ein Großteil der Gesellschaft ist von der voll­umfänglichen Digitalisierung über­sättigt«, glaubt Michael Cortelletti, Geschäftsführer von Impero Pizza & Natura. Sein Ideal der Hospitality-Branche ist »der direkte Kontakt der Menschen zueinander, bei der digitale Werte hinter den Kulissen stattfinden«.

Sabrina Gambino-Kreindl von den Gambino Hotels bringt es auf den Punkt: »Ohne Menschen ist unser Geschäft leer, öd und gesichtslos. Es lebt von Emotionen.« Die Digitalisierung macht den Menschen nicht obsolet, sondern im Gegenteil. Digitale Tools erlauben »einen Service, der nicht nur den Mitarbeitenden Freude macht, sondern letztlich auch die Gäste wiederkehren lässt«, ist Gambino-Kreindl überzeugt.

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