Gut Ding braucht Weile
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Gut Ding braucht Weile

Regional, sauber, fair ist gar nicht so schwer ...

von Daniela Müller
Donnerstag, 01.09.2016
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Obstteller
Warum in die Ferne schweifen? Dessert mit Früchten der Region.
Foto: Landhaus Lebert

Windelsbach ist ein fränkisches Dorf mit 400 Einwohnern, nur zehn Kilometer von Rothenburg ob der Tauber entfernt. Hier betreiben Manfred Lebert und seine Frau ­Gabriele ein uriges Landhaus mit angeschlossener Hof-Scheune und Heubodenzimmern, das bereits die Aufmerksamkeit der großen Restaurantführer auf sich gezogen hat: Der Michelin erteilte ihm den BIB Gourmand, im Gault & Millau wird das Gasthaus mit 14 Punkten (1 Mütze) gewürdigt. Ganz besonders hohe Erwartungen schürt jedoch bei vielen Gästen der Eintrag in den Slow-Food-Genussführer, den kulinarischen Kompass für Freunde der traditionellen, regionalen Küche und des bewussten Genusses. Zu Recht: Das Ehepaar Lebert ist seit sechs Jahren begeistertes Mitglied bei Slow Food, lebt und atmet in seinem Betrieb die Philosophie der Bewegung. Es landen ausschließlich Lebensmittel auf dem Teller, die den drei Slow-Food-Prinzipien »Gut, sauber und fair« gerecht werden. Eingekauft wird in der direkten Umgebung und bei Lieferanten, die Lebert persönlich kennt.

Schäferwagen
Kreative Verkaufsidee:
Selbstgemachtes aus
dem Schäferwagen.
Foto: Landhaus Lebert

Essen, was man retten will ...

Dass sich auf seiner Speisekarte hohen­lohische und mittelfränkische Spezialitäten tummeln, ist Teil des Konzepts. Köstliche, frisch zubereitete Gerichte, wie Geschmorte Bäckle vom Schwäbisch-Hällischen Schwein auf Gemüse-Zimt-Alblinsen oder Rostbraten mit Kruste und Böfflamott vom Limpurger Weideochsen, erwarten die Gäste. Wie im Falle dieser Gerichte verarbeitet Lebert gerne vergessene oder vom Vergessen bedrohte regionale Nutztierrassen, die Slow Food als Passagiere ihres internationalen Projekts »Arche des Geschmacks« führt. Es bewahrt weltweit die regionale Vielfalt und schützt das kulinarische Erbe. Getreu dem Motto »Essen, was man retten will!«.

Idylle im Landhaus Lebert
Idylle im Landhaus Lebert
Foto: Landhaus Lebert

Überzeugung statt Bürokratie

Dass Manfred Lebert liebt, was er tut, daran besteht kein Zweifel. Seine Entscheidung für die Slow-Food-Philosophie hat er nie bereut. »Es war für mich sehr wichtig, dass ich nicht in ein so enges Regel- und Dokumentations-Korsett eingezwängt werde, wie das bei Bio-zertifizierten Betrieben der Fall ist«, erklärt er. Tatsächlich kommt Slow Food noch immer ohne Zertifizierung aus, lediglich lokale Testgruppen, die sogenannten Genussführer-Kommissionen, fühlen den Gasthäusern auf den Zahn und entscheiden über eine Aufnahme in den gleichnamigen Restaurantführer der Organisation. Dass die Slow-Food-Prinzipien jederzeit eingehalten werden, ist Ehrensache für den Küchenchef. »Meinen Lieferanten geht es ähnlich«, berichtet er. »Wir haben hier viele Landwirte, die eigentlich ökologische Landwirtschaft betreiben – aber der ganze Aufwand einer Bio-Zertifizierung ist denen einfach zu viel. Mir ist wichtig, dass ich meine Lieferanten kenne, dass ich weiß, wie sie arbeiten – nicht, dass sie irgendein Bio-Zertifikat haben. Regional ist den Konsumenten heute ohnehin wichtiger als bio.«

Die Gäste sind zufrieden – und das spiegelt sich im Portemonnaie wider. »Wer uns im Slow-Food-Genussführer gefunden hat, mit dem muss man nicht mehr über Preise sprechen«, so Lebert. Doch das, so betont er, sei ihm durchaus nicht das Wichtigste. »Wir als Köche müssen der Industrie einfach Paroli bieten. Schließlich geht es um unsere Berufsehre! Es kann nicht sein, dass wir alles nur noch fertig einkaufen, die Verantwortung für Inhaltsstoffe an andere abgeben. Irgendwann braucht man uns sonst vielleicht nicht mehr!«

Martin Wolf
Martin Wolf setzt auf Slow Food und findet: Wo ein Wille ist, ist auch
ein Weg! Foto: Hohenloher Krankenhaus

Gutes macht man aus sehr Gutem

Rund 200 Kilometer nördlich, im osthessischen Hilders bei Fulda, verbinden Vater Ludwig Leist und seine beiden Söhne Björn und Bastian bereits in der dritten Generation das Metzgerhandwerk mit der Gastronomie – und setzen dabei auf den entschleunigten Genuss. Kein Wunder also, dass sich die Slow-Food-Philosophie wie ein roter Faden durch die Familienmetzgerei, das Hotel und die drei zugehörigen Restaurants zieht. Letztere bieten eine riesige Bandbreite, die vom Rhöner Wurstsalat bis zum Acht-Gänge-Menü reicht. Bei aller Unterschiedlichkeit teilen sich alle Geschäftsbereiche des Familienbetriebs das Motto der Familie Leist: Gutes macht man aus sehr Gutem. »Wir setzen unsere Ideen gemeinsam um, sodass von der Metzgerei bis hin zum Teller des Gastes durchgängig unsere Liebe und Hingabe für die regionale Kulinarik erkennbar ist«, so der Küchenchef.

Björn Leist
Herzhafte regionale Spezial-
itäten gibt es in den
Restaurants von Björn Leist.
Foto: Rhöner Botschaft

Die Prinzipien von Slow Food habe er bereits befolgt, noch bevor er die Bewegung überhaupt wahrgenommen habe, sagt Björn Leist, der sein Handwerk im Bareiss in Baiersbronn (3 Michelin-Sterne) erlernt hat und u. a. im Landhaus Bacher im österreichischen Mautern (2 Michelin-Sterne) tätig war. »Wenn man gerne kocht und sich mit sich und seiner Region und ihren Lebensmitteln beschäftigt, landet man irgendwann automatisch bei Slow Food«, ist er überzeugt.

Kutteln statt immer nur Filet

Dass in den Restaurants die ganzheitliche Verwertung »From nose to tail« von Tieren betrieben wird, ist Ehrensache, nicht nur für den gelernten Metzger Bastian Leist, sondern genauso für seinen Bruder Björn. »Wir können nicht nur Filets verkaufen. Wer sein Handwerk gelernt hat, macht z. B. aus Kutteln ein tolles Gericht«, so der Küchenchef. Auf der Karte des Restaurants »Das Ox« liest sich das dann so: Kalbskutteln mit Sherry, Lauch und Kartoffelschaum. Auch Markknochen gratiniert mit Bergkäse und Roggenbrot oder Carpaccio von der Ochsenzunge mit Kartoffel-Liebstöckel-Marinade und Ölrauke gehören zum Repertoire des Kochs.

Fleischhauptgang
Die Familienmetzgerei
liefert das Fleisch ganz
frisch – und selbstverstän-
dlich in bester Slow-Food-
Qualität. Foto: Rhöner
Botschaft

Eine Hauptrolle auf Leists Speisekarte spielen natürlich die Tiere der Region, verarbeitet in der eigenen Metzgerei: Rhönschafe und die Rhöner Weideochsen, bei Leists »RWOX« genannt. Diese Ochsen wachsen zwei Jahre in Freilandhaltung auf der Weide heran, ihr Gras ist nicht gespritzt, auf ­Geschmacksverstärker wird selbstverständlich verzichtet. Das Ergebnis lohnt sich: Das Fleisch des Simmentaler Fleckviehs ist ­feiner marmoriert und dadurch geschmacklich eine Wucht.

Der frühe Vogel frühstückt besser

Die Bezeichnung »Slow Food« nimmt Björn Leist übrigens durchaus wörtlich. Es ist ihm daran gelegen, dass seine Restaurant- und Hotelgäste den Stress draußen lassen und sich Zeit nehmen für den bewussten Genuss. Das Frühstück bietet der 38-Jährige deshalb nicht in Büfettform, sondern à la carte an. »Dadurch können wir eine sehr gute Qualität bieten, sehr frische Produkte – und es wird viel weniger weggeworfen«, berichtet er. »Natürlich muss gerade der ­Geschäftsreisende die Zeit einkalkulieren, die es dauert, bis sein Rührei oder sein Omelett frisch für ihn zubereitet wurde. Aber ich bin sicher, es lohnt sich bei uns, etwas früher aufzustehen!«

Slow Food im Restaurant Ox
So sieht Slow Food im Restaurant »Das Ox« von Björn Leist aus.
Foto: Rhöner Botschaft

Genießen zur Genesung

Dabei ist Slow Food nicht nur eine Sache für  kleine, feine Lokale und Gaststätten. Auch große Betriebe, z. B. Betriebsgastronomien und Krankenhäuser, bekennen sich zum Slow-Food-Gedanken. So wie die Klinik Löwenstein, in der Chefkoch Otto Vogelmann passend zu seinem Motto »Genießen zur Genesung« köstliche Slow-Food-Küche offeriert. Er ist überzeugt, dass nicht nur Medizin und Pflege für das Wohlbefinden verantwortlich sind, sondern auch das Essen. Dem Slow-Food-Gedanken folgend, bezieht er Fleisch- und Wurstwaren, Nudeln, Kartoffeln, Frischgemüse sowie Obst und vieles mehr aus der Region. Auch sein Kollege Martin Wolf, Gastronomieleiter der Hohenloher Krankenhaus GmbH, ist Unterstützer der Philosophie. Es habe ihn schockiert, dass er Kinder traf, die nicht mehr wussten, wie eine Orange aussieht, oder die dachten, Milch komme aus dem Tetra-Pak.

In zwei Küchen in Künzelsau und Öhringen bereitet sein Team täglich rund 1.200 Mittagessen zu – auch Schulen und Kindergärten werden beliefert. Die Zutaten stammen überwiegend aus der Region. Ausreden, Slow Food funktioniere nicht in einer solchen Größenordnung und mit ­einem kleinen Tagessatz pro Patient, lässt er nicht gelten. »Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Es muss nicht immer teurer sein, man muss nur wissen, wie es geht«, sagt er. Zwar könne er noch nicht 100 Prozent seiner Waren in Slow-Food-Qualität beschaffen, aber einen guten Teil davon – und manches sogar günstiger als im Großmarkt. »Obst bekomme ich z. B. direkt vom Bauern hier in der Nähe. Wenn ich z. B. Johannisbeeren nehme, die werden frisch vom Strauch gepflückt und hierhergeliefert – günstig und qualitativ unschlagbar!«

Carlo Petrini
Carlo Petrini, Foto:
wikimedia

Die tägliche Herausforderung

So viel wie möglich wird bei ihm klassisch gekocht, die Saucen mit Knochen angesetzt. Auf Convenience greift der Küchenchef nur zurück, wenn es gar nicht anders geht – und dann achtet er auf qualitativ hochwertige Produkte, von Herstellern, die sich um Nachhaltigkeit bemühen. Sicher, es sei schon eine Herausforderung, dem Slow-Food-Gedanken gerecht zu werden, gesteht er: »Ich muss meine Mitarbeiter dafür begeistern, Preise kalkulieren, und natürlich wäre es einfacher, nur mit fünf Hauptlieferanten zusammenzuarbeiten, statt bei vielen spezialisierten Lieferanten aus der Region zu bestellen. Aber wir müssen die alten Rezepte und traditionellen Produkte bewahren.«

Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeitet haben

Carlo Petrini, Gründer von Slow Food in »Gut, sauber & fair«

Aller Anfang ist gar nicht so schwer

Wer sich nun dafür interessiert, Slow-Food-Mitglied zu werden, der sollte sich zunächst in seiner Region umsehen: Welche Lieferanten eignen sich für eine Zusammenarbeit? Welche regionalen Besonderheiten gibt es? Nach und nach muss man sich sein Netzwerk erarbeiten. »Der Rest geht dann fast von selbst«, ist Koch Björn Leist überzeugt. »Man entwickelt eine ganz andere Einstellung zu den Dingen, wenn man den Forellenzüchter kennt, weiß, wie viel Liebe er in seine Arbeit steckt – und dass er von seinen Erträgen leben muss.« Von heute auf morgen ist eine solche Entwicklung leider nicht möglich. Slow Food braucht eben auch hier seine Zeit ...

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