Koreas Küche: Arme-Leute-Essen reloaded
Wenn die Ochsenschwanzsuppe im gusseisernen Topf schön brodelnd serviert wird und sie beim Verzehr richtig auf der Zunge brennt, dann sitzt man vielleicht in einem Straßenlokal in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Unter „brennen“ meinen wir aber nicht die „Schärfe“ des Gerichts – sondern dessen Temperatur. In Koreas Süden essen die Gäste wirklich heiße Speisen: was in Europa als „heiße Suppe“ bezeichnet werden würde, kommt für die schmerzfreien Koreaner fast einer Gazpacho (kalte Gemüsesuppe aus Spanien) gleich. Das musste auch die Autorin Anna Burghardt feststellen. Burghardt hat für die Süddeutsche Zeitung einen kulinarischen Reisebericht aus Südkoreas Hauptstadt Seoul geschrieben. Ihre Eindrücke lassen sich mit drei Schlagwörtern zusammenfassen: arm, frisch, fermentiert.
Gastronomie-Experte Sung Yoon Kim begleitete die Autorin durch die spannende Straßenküche der asiatischen Metropole. „Ich bin nur gespannt, wann man im Ausland endlich merkt, dass das Image der feurigen und fleischlastigen koreanischen Küche nicht stimmt“, erklärt Kim. Ein Klischee, das die Realität zwischen zappelnden Oktopussen, fermentiertem Chinakohl und angebranntem Reis nicht abbildet.
Kim studierte an der Slow-Food-Universität im Piemont und schreibt heute über die Gastronomie-Szene seiner Heimat. Anna Burghardt lässt sich durch die Streetfood-Gassen Seouls treiben und dokumentiert ihre Eindrücke in bester Reportage-Manier. Ihr Bericht nimmt den Leser an die Hand und zeigt ihm die bodenständige Faszination südkoreanischer Kulinarik, fernab der Sterne-verrückten Haute Cuisine.
Wenn der Oktopus noch zuckt, ist er frisch
Einer ihrer größten Herausforderungen bei der gastronomischen Entdeckungsreise stellte sich der SZ-Autorin beim Verzehr eines Oktopus. Das noch lebendige Exemplar wird vor den Augen des Gastes zerlegt. Seine Tentakel zucken auf dem Teller noch. Das liegt an den aktiven Nervenzellen, die als letztes absterben. „Al dente“ ist der Fisch auf jeden Fall, denn vor dem Anrichten genießt das Meerestier weder ein langes Köcheln im siedenden Wasser noch wird er über dem Grill knusprig gebrannt. „In Korea hingegen werden Fische im Idealfall erst direkt vor dem Essen getötet. Die gummiartige Konsistenz – die mögen wir, die ist typisch koreanisch“, erklärt Kim Anna.
Zwischen den Planenbauten, die Pojangmacha heißen, lernt die deutsche Journalistin das „Arme-Leute-Essen“ kennen. Der Stadtteil Jongno entstand in den 1950-er Jahren. „Man stellte in den vom Koreakrieg zerstörten Straßen Seouls Zelte auf und nutzte sie als Mini-Restaurants. Serviert wurde mitunter nicht mehr als gebratene Spatzen“, erzählt Köchin Ran Kim. Burghardt trifft auch die Reiseleiterin, die Streetfood-Touren in Seoul leitet. Im sozialen Brennpunkt der Stadt muss auch mal ein abgerissenes Stück Klopapier als Serviette dienen. HACCP lässt grüßen…
Kimchi ist das heilige Nationalgericht
Anna Burghardt degustiert sich in Jongno durch Fischmehlkuchen, Kimchi-Pancakes aus einem Reismehl-Teig und fermentiertem Chinakohl. Dazu trinken die Einheimischen „Makgeolli“, einen milchig trüben Reiswein, der lange Zeit ein Arbeiter- und Bauerngetränk war und heute auch bei koreanischen Popstars beliebt sei. Da ist das Dessert namens Nurungji etwas gewöhnungsbedürftiger. „Man gießt heißes Wasser auf die braune Reiskruste, die sich gern auf dem Topfboden festsetzt. Wir haben aus diesem Reiskrustentee ein Eis gemacht“, erklärt Spitzenkoch Mingoo Kang dem Besuch aus Deutschland. Kang ist Chef des Restaurants „Mingles“ im noblen Stadtteil Gangnam.
Die beliebteste Beilage zu allen Gerichten ist immer noch Kimchi – auch über die Stadtgrenzen der „Seoul Kitchen“ hinaus. Es gilt als Nationalgericht und Exportschlager des Landes. Hierbei wird Chinakohl fermentiert, mit Chilipaste eingerieben und durch Knoblauch verfeinert. Um das Chinakohl-Gericht ranken sich viele Geschichten. Hergestellt wird es immer noch traditionell durch echte Handarbeit, was sich auch beim Verzehr der Speisen fortsetzt. Reiseleiterin Ran Kim diktiert Anna Burghardt in diesem Zusammenhang ein Sprichwort in ihren Notizblock: „In China kommt der Geschmack vom Feuer, in Japan vom Messer, in Korea von den Händen.“ Oder eben aus dem gusseisernen Topf… (sueddeutsche.de / FL)