Mindestlohn steigt bis 2027
Der Mindestlohn in Deutschland soll in zwei Stufen auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 steigen. Anfang kommenden Jahres soll er bereits auf 13,90 Euro steigen, wie die Mindestlohnkommission in Berlin mitteilte. Der Vermittlungsvorschlag der Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld sei einstimmig beschlossen worden.
Heute liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro. Die Anhebung auf 13,90 Euro zum 1. Januar 207 entspricht damit einer Steigerung von insgesamt 13,9 Prozent.
Die Mindestlohnkommission entscheidet alle zwei Jahre über die Anpassung. Hier verhandeln Spitzenvertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern miteinander. Die Bundesregierung setzt den Beschluss dann per Verordnung um. Der vorangegangene Beschluss über den heutigen Mindestlohn war gegen das Votum der Gewerkschaften mit der Stimme der unabhängigen Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld gefasst worden.
„Harte Verhandlungen“
Schönefeld sprach von einem tragfähigen Kompromiss, der für einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und Betriebe sorge. Mit Blick auf in der Öffentlichkeit geäußerte Erwartungen über einen Mindestlohn von 15 Euro – das fordert die SPD – sprach sie von sehr schwierigen Gesprächen.
Der Verhandlungsführer des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Stefan Körzell, sagte, es seien „harte Verhandlungen“ gewesen. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Steffen Kampeter, kritisierte den großen Druck, der in den letzten Monaten von politischer Seite auf die Kommission ausgeübt worden sei.
Über Wochen keine Einigkeit
Über Wochen war man sich in dem Gremium aber uneins gewesen, wie aus Verhandlungskreisen verlautete. Wäre die unabhängige Mindestlohnkommission nicht zu einer Einigung gekommen, hätte der Gesetzgeber handeln können. Die SPD, die in Berlin einen Parteitag abhält, hatte im Wahlkampf 15 Euro Mindestlohn gefordert.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und Sozialdemokraten hatte auf eine konkrete Festlegung verzichtet. „Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren“, heißt es dort entsprechend den gesetzlichen Vorgaben für die Kommission. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“
Die Arbeitgeber hatten allerdings vor gravierenden ökonomischen Folgen durch eine deutliche Mindestlohnerhöhung gewarnt. Deutschland droht 2025 das dritte Rezessionsjahr in Folge.
BdS: Appell an die Bundesregierung
Markus Suchert, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Systemgastronomie e. V. (BdS), bewertet die jetzige Entscheidung der Mindestlohnkommission als einen ausgewogenen Kompromiss, der sowohl die berechtigten Interessen der Beschäftigten an einer Lohnerhöhung berücksichtige, als auch die wirtschaftliche Situation der Unternehmen im Blick behalte.
„Gerade in der derzeit angespannten konjunkturellen Lage und angesichts des zurückhaltenden Konsumverhaltens ist es wichtig, Lohnanpassungen mit Augenmaß vorzunehmen“, betont Suchert. „Ein überproportional hoher Mindestlohn – wie etwa die in die Diskussion eingebrachten 15 Euro – hätte den ohnehin hohen Kostendruck in den Betrieben der Systemgastronomie weiter verschärft und erhebliche Risiken für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit bedeutet.“
Durch ihren Beschluss zeige die unabhängige Mindestlohnkommission, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter auch in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld tragfähige und einvernehmliche Lösungen finden. „Wir appellieren an die Bundesregierung, diese Entscheidung nun auch zu akzeptieren und von einer politischen Einflussnahme auf die Lohnfindung abzusehen“, so Suchert abschließend.
Kritik an der Entscheidung
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht die geplante Erhöhung des Mindestlohnes kritisch. „Es ist eine von vielen Entscheidungen, die sehr deutlich zeigen, dass handelnde Personen die dramatische wirtschaftliche Situation in Deutschland unterschätzen“, sagte er in Dresden.
100.000 Industriearbeitsplätze seien in den vergangenen zwölf Monaten in Deutschland abgebaut worden. „Die Bundesrepublik ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Wirtschaften in Deutschland muss dringend günstiger und nicht teurer werden.“
Auswirkungen für Hotellerie und Gastronomie
Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga Bundesverband), begrüßt, dass sich die Sozialpartner einigen konnten: „Die Mindestlohnkommission hat mit der heutigen Entscheidung unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage ist, Kompromisse unter Würdigung der Tarifentwicklung und der wirtschaftlichen Gesamtsituation zu erzielen. Es ist wichtig, dass die Sozialpartner gemeinsam eine von der Politik unabhängige Gesamtabwägung getroffen haben. Denn Löhne dürfen nicht Spielball der Politik sein. Damit sollte jetzt auch die politische Debatte beendet sein.“
Dennoch sieht auch Zöllick die Anhebung des Mindestlohns kritisch: „Gleichwohl stellt das Verhandlungsergebnis und die damit verbundenen deutlichen Personalkostensteigerungen unsere Branche mit 2,2 Millionen Beschäftigten vor große Herausforderungen“, betont der Dehoga-Präsident.
Zöllick ordnet die Auswirkungen für Hotellerie und Gastronomie ein: „Acht gültige regionale Tarifverträge werden so bereits im Jahr 2026 überholt und teilweise außer Kraft gesetzt. Das gesamte tarifliche Lohngefüge wird dadurch beeinflusst – ein Eingriff in die Tarifautonomie. Durch die Erhöhung in zwei Schritten wird die Belastung abgemildert und die Planbarkeit verbessert.“
Bereits seit 2022 sind die Arbeitskosten im Gastgewerbe um 34,4 Prozent gestiegen. 2024 war in der Branche das fünfte Jahr in Folge mit realen Umsatzverlusten – minus 13,0 Prozent gegenüber 2019. Auch der Start ins neue Jahr verlief schwach.
„Sinkende Umsätze bei zugleich heftig steigenden Kosten – die wirtschaftliche Belastungsgrenze für die Betriebe ist vielerorts erreicht, sie stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Zöllick und macht deutlich: „Umso wichtiger ist, dass die im Koalitionsvertrag und im Sofortprogramm der Regierung vereinbarten Entlastungen, insbesondere die 7-Prozent-Mehrwertsteuer auf Essen, jetzt schnell gesetzlich umgesetzt werden.“
„Eine erhebliche Herausforderung“
Der Dehoga Bayern betont, dass er die Entscheidung der unabhängigen Mindestlohnkommission akzeptiert. „Es ist ein wichtiges Signal für die Tarifautonomie, dass sich die Sozialpartner auf eine Lösung verständigen konnten und nicht die Politik die Höhe des Mindestlohns festlegt“, erklärt Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bayern.
Sie räumt jedoch ebenfalls ein: „Für unsere Branche bedeutet diese Steigerung des Einstiegslohns für in der Regel ungelernte Kräfte jedoch eine erhebliche Herausforderung, da sie das gesamte Lohngefüge beeinflusst“. Der Dehoga Bayern sehe die Gefahr, dass steigende Arbeitskosten es Betrieben erschweren werden, Menschen ohne Ausbildung eine Chance zu geben. Das könnte den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten.
„Wir setzen darauf, dass die Kommission künftig keine weiteren Sprünge in dieser Höhe beschließt und der Mindestlohn nicht erneut politisiert wird – das würde unserer international ausgerichteten Tourismusbranche und dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden.“
Jetzt sei es entscheidend, dass die Bundesregierung Wort hält und den Faktor Arbeit an anderer Stelle entlastet, indem die im Koalitionsvertrag vereinbarten Entlastungen, insbesondere die 7-Prozent-Mehrwertsteuer auf Speisen, zum 1. Januar 2026 umgesetzt werden. Denn bereits seit 2022 seien die Arbeitskosten im Gastgewerbe um 34,4 Prozent gestiegen. Und 2024 sei in der Branche das fünfte Jahr in Folge mit realen Umsatzverlusten gewesen – minus 13,0 Prozent gegenüber 2019.
„Unsere Betriebe brauchen dringend Unterstützung, nicht zusätzliche Belastungen – gerade in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit mit massiv gestiegenen Arbeitskosten und realen Umsatzverlusten“, appelliert auch Inselkammer an die Bundesregierung.
„Das ist eine schmerzhafte Steigerung“
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. begrüßt zwar ebenfalls, dass sich die Sozialpartner einigen konnten, gleichzeitig warnt er vor den Folgen der Mindestlohnerhöhung: „Das ist eine schmerzhafte Steigerung, die einige Branchen, auch solche mit Flächentarifverträgen, vor Herausforderungen stellen wird. Klar ist, dass auch die Verbraucher die hieraus resultierenden Preissteigerungen gerade bei Konsumgütern tragen werden müssen“, erläutert Brossardt.
Weiter warnt er: „Wir erwarten, dass der Anstieg der Arbeitskosten zu einer weiteren Beschleunigung bei Automatisierung und Rationalisierung führen wird. Dies wird negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, genauso wie bereits vorangegangene Mindestlohnerhöhungen zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in Berufen ohne Berufsausbildung geführt haben.“
Brossardt appelliert daher an die Bundesregierung: „Wir setzen darauf, dass die Mindestlohnkommission zukünftig keine weiteren Sprünge in dieser Höhe beschließt. Eine Politisierung des Mindestlohns darf nicht wieder vorkommen, da es unserer Wettbewerbsfähigkeit und unserem Standort schadet. Wir setzen auf die neue Bundesregierung, den Kostenfaktor Arbeit an anderer Stelle zu reduzieren. Denn viele Unternehmen und ihre Belegschaften erleben derzeit multiple Krisen und stehen vor existenziellen Herausforderungen. Sie brauchen Entlastungen und nicht weitere Belastungen. Die Unternehmen müssen gestärkt werden, um sie durch die schwierige wirtschaftliche Situation zu bringen.“
Forderung nach Ausnahme-Regelung
Auch der Bauernverband warnt vor gravierenden Folgen für viele Betriebe durch die weitere Erhöhung des Mindestlohns. „Dieser Mindestlohn hat das Potenzial, den Anbau von Obst, Gemüse und Wein aus Deutschland zu verdrängen“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Wir werden dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU nicht standhalten können, was zu einer weiteren Produktionsverlagerung ins Ausland führen wird.“
Die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagene „massive Anhebung“ werde Betriebe zum Ausstieg aus arbeitsintensiven Kulturen zwingen. „Die Erzeugung in Deutschland ließe sich nur über deutliche Preissteigerungen halten.“ Es brauche dringend eine Sonderregelung für Saisonkräfte. Rukwied schlägt vor, dass sie 80 Prozent des Mindestlohns bekommen sollten. Laut Verband liegt das Niveau etwa in Polen bei 7,08 Euro, in Spanien bei 8,37 Euro.
Mindestlohn in Deutschland
Der Mindestlohn in Deutschland war 2015 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeführt worden. Bei der Erhöhung auf 12 Euro im Oktober 2022 hatte ausnahmsweise der Gesetzgeber dem Gremium die Entscheidung per Gesetz aus der Hand genommen. Damals hatte der spätere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Mindestlohn mit ins Zentrum seines Wahlkampfs für mehr „Respekt“ gegenüber den Bürgern gestellt.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte in einem Interview klargestellt, dass es „keinen gesetzlichen Automatismus“ geben werde. Der Mindestlohn könne „bei dieser Höhe zum 1.1.2026 oder 2027 liegen“, so Merz bereits im April.
Faktoren für die Entscheidung
Entscheidende Faktoren für die Lohnuntergrenze sind die zurückliegende Entwicklung der Tariflöhne in Deutschland, errechnet durch das Statistische Bundesamt. Zudem dient der mittlere Lohn als Ausgleichsgröße, denn als angemessener Mindestlohn gelten 60 Prozent des nationalen Medianlohns, also des statistisch errechneten mittleren Lohns. So soll vermieden werden, dass künftig noch mehr Menschen durch Armut gefährdet sind.
Viele sind Armutsgefahr ausgesetzt
Vergangenes Jahr waren laut offizieller Statistik 15,5 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet – rund 13,1 Millionen Menschen in Deutschland. Als armutsgefährdet gelten laut EU-Definition alle, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. 1.378 Euro im Monat nach Steuern und Sozialabgaben waren dies 2024 für eine alleinlebende Person in Deutschland.
(dpa/BdS/Dehoga Bundesverband/Dehoga Bayern/SAKL)