Kommentar

Wegen Reichtums geschlossen?

Asiatische Touristin vor einem Schaufenster in Wien
Bis dato ist für Touristen in Wien an Sonntagen maximal Window-Shopping gestattet. (© WienTourismus/Peter Rigaud)
Der Streit um die Sonntagsöffnung der Geschäfte in Wien ist eine neverending story. Doch Gründe, das Beamtendogma („Das war schon immer so, warum soll man das ändern?“) zu durchbrechen, gäbe es genug.
Freitag, 14.12.2018, 08:58 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

Egal ob London, Paris oder Bratislava – in den meisten europäischen Hauptstädten sind offene Geschäfte an Sonntagen zumindest in den großen Einkaufsstraßen eine Selbstverständlichkeit. Selbst erzkatholische Länder sind diesbezüglich liberal. Sonntags als Tourist in Rom, Warschau oder Dublin einkaufen? Kein Problem. In Österreich verhindert das Ladenschlussgesetz jedoch solch Teufelswerk wie Arbeiten am Sonntag – also in Wien zumindest. In allen anderen Tourismusgemeinden, von Kitzbühel über St. Gilgen bis Lech, gibt es sehr wohl Ausnahmeregelungen in Form von „Tourismuszonen“, in denen Geschäfte an Sonntagen aufsperren dürfen. Und eine solche hat jetzt für Wien mal wieder die ÖVP urgiert (HOGAPAGE hat berichtet), die in dieser Causa auch den Wien Tourismus oder die ÖHV auf ihrer Seite weiß.

Indes hat in der Hauptstadt die SPÖ-Regierung bis dato keinen Bedarf für solche Regelungen gesehen. Am Graben, Kohlmarkt, der Kärntner- oder Mariahilfer Straße werden selbst im Advent an Sonntagen die Gehsteige hochgeklappt. Gerade mal die Öffnung am 8. Dezember hat der Handel vor etlichen Jahren erzwingen können.

Schädlich für das Wien-Image?
Wobei es ein Irrtum wäre zu glauben, dass die Fronten in dem Dauerstreit starr seien: hier die Unternehmer, die aufsperren wollen, da die Angestellten, die das nicht wollen. Speziell für kleinere Geschäfte würde sich der Mehraufwand oft kaum rechnen und daher verhält sich auch die Wirtschaftskammer als Unternehmervertreter in dieser Sache erstaunlich ruhig. Denn auch wenn es natürlich keinen Zwang zum Offenhalten gäbe: Wenn es der eine nicht will, soll es dem Nachbarn lieber auch verboten werden. Sicher ist sicher. Das ist Wettbewerb à la Österreich. Und so hat sich im Laufe der Zeit eine sonst eher selten zu beobachtende Phalanx aus Kirche, Gewerkschaft, Wirtschaftskammer, SPÖ, FPÖ und sogar Teilen der ÖVP gebildet, die jeden diesbezüglichen Liberalisierungsversuch im Keim ersticken. „Tourismuszonen in Wien sind unnötig und schaden dem Wien-Image“, meint man etwa bei der Fraktion christlicher Gewerkschafter zum jüngsten Vorstoß. Schädlich für das Image? Ernsthaft? Aber es muss ja auch nicht jedes Argument problemlos nachvollziehbar sein…

Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Pikanterie, dass die Handelsgewerkschaft – eine der schärfsten Kritikerinnen einer eventuellen Sonntagsöffnung – gerade an Sonntagen gerne mal Personal abstellt, das kontrollieren soll, ob auch wirklich alle Geschäfte geschlossen sind. Nicht erst ein „Rebell“ wurde solcherart mit exorbitanten Strafen in die Knie gezwungen.

Sonntagsarbeit betrifft längst nicht nur Polizei, Feuerwehr und Spitäler
Dass Sonntagsarbeit in unzähligen anderen Branchen eine Selbstverständlichkeit ist – von Medien über die Freizeitindustrie bis hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch Tankstellen (die mit ihren Shops inzwischen sehr gut von der aktuellen Regelung leben) – geschenkt. Und auch in der Gastronomie und Hotellerie soll Gerüchten zufolge Dienst am „Tag des Herren“ ein weit verbreitetes Phänomen sein. Und ja, Krankenschwestern, Kellnerinnen, Rezeptionistinnen oder Stubenmädchen haben ebenso oft Kinderbetreuungspflichten wie ihren Kolleginnen im Einzelhandel und kommen auch damit klar.

Doch bis auf weiteres werden sich wohl auch künftig fassungslose Touristen mit gezückter Kreditkarte an den Schaufenstern der Wiener Einkaufsmeilen die Nase platt drücken. Zu sehr fürchtet vermutlich auch Neo-Bürgermeister Michael Ludwig den Zorn der Gewerkschaften einerseits und einen gewissen „Flächenbrand“ andererseits. Denn tatsächlich sind Tourismuszonen in Wien meist geografisch nicht so leicht abzugrenzen wie anderswo. Irgendein Geschäft, das zehn Meter außerhalb so einer Zone steht, wird sich immer benachteiligt fühlen und vor Gericht ziehen.

Wird Wien anders bleiben?
Aber auch wenn Wien anders ist, wie man auf großen Plakaten an den Stadteinfahrten lesen kann (und manche das für eine gefährliche Drohung halten), wird der Zahn der Zeit hoffentlich auch an der Wiener Betonmentalität nagen. Denn jahrzehntelang war selbst ein Offenhalten der Geschäfte am Samstag Nachmittag ein Tabu – heute undenkbar. Irgendwann wird hoffentlich die Zivilisation also auch in diesem Bereich in der Donaumetropole einkehren und die Chinesen werden sich, wenn sie Montags wieder im Flugzeug sitzen, nicht nur ausmalen können, welche Rolex sie gekauft hätten, wenn der Juwelier am Vortag offen gehabt hätte.

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