„An den Pranger mit ihm!“
Wer im Mittelalter einer (nicht allzu schweren) Straftat überführt wurde, landete bisweilen auf dem Marktplatz an einem Pranger. Die Strafe bestand vor allem in der öffentlichen Schande, die der Verurteilte zu erdulden hatte und die in der Regel ein normales Weiterleben in der Gemeinschaft erschwerte. Aber ähnlich wie Körperstrafen wurden auch solche Ehrenstrafen im Laufe des 19. Jahrhunderts in den meisten zivilisierten Ländern abgeschafft – aus gutem Grund.
„Ich zahle meine Steuern nicht“
Aber wie Manches andere auch, das bereits überholt geglaubt ist (die halbe Welt definiert sich plötzlich wieder über ihren Glauben), feiert auch der Brauch des Prangers seit einiger Zeit wieder fröhliche Urständ – natürlich nicht in der alten Version in Ketten am Marktplatz, sondern in der wesentlich moderneren und „cleaneren“ Ausführung im Internet. So werden in einigen Staaten der USA Sexualverbrecher nach Verbüßung ihrer Haft öffentlich unter Angabe des Wohnortes geoutet, in Australien Tempo- oder in Slowenien Steuersünder.
Jetzt soll auch in Deutschland auf das mittelalterliche Schmäh-Instrument zurückgegriffen werden und zwar bei Gastronomen. Wenn ein Lokal gegen Hygienebestimmungen verstößt, soll dieser Verstoß ein halbes Jahr lang im Internet öffentlich zugänglich dokumentiert werden. Nach Ablauf dieser Zeitspanne sollen die Einträge seitens der Behörden wieder gelöscht werden. Damit verbunden sei jedoch auch die Pflicht der Behörden, eine Behebung der angeprangerten Mängel seitens des Gastrobetriebs ebenfalls öffentlich zu dokumentieren.
Verhältnismäßigkeit gewahrt?
Allerdings liegt genau hier eines der Probleme begraben: Jeder, der schon mal in einer Zeitung zu Unrecht in ein schiefes Licht gebracht wurde und eine Entgegnung erwirkt hat, weiß, dass die ursprüngliche Schlagzeile bei wesentlich mehr Leuten hängen bleibt, als die folgende Entgegnung – und das nicht nur, weil letztere meist in einem Juristendeutsch verfasst ist, das kaum einem normalen Leser zumutbar ist. Ist der Ruf also einmal ruiniert, lebt sich’s eher nicht ungeniert, sondern sehr mühsam. Und Punkt zwei: Das Internet vergisst nicht! Was immer dort publiziert wird, taucht an anderer Stelle wieder auf – ausnahmslos. Der Schaden kann in so einem Fall für den Gastronomen also dauerhaft sein. Aber ist das wirklich der Zweck der Sache? Bei Gerichtsverfahren darf selbst bei Mord oder Vergewaltigung aus Persönlichkeitsschutzgründen die Identität des Täters in den Medien nur in Ausnahmefällen genannt werden aber wer (übertrieben ausgedrückt) vergisst, über den Tresen zu wischen, findet seinen Namen samt Adresse im Internet wieder?
Das soll jetzt keine Verteidigung für Wirte sein, die Hygienebestimmungen für unverbindliche Ratschläge halten, aber man sollte doch Vergehen und Strafauswirkung in Relation setzen – auch wenn solche Pranger etwa im Fall von Steuersündern erfahrungsgemäß ihre Wirkung nicht verfehlen. Und vor allem, wo enden die aus den USA kommenden kreativen Strafen? Dort muss schon mal ein Mann, der einen Polizisten als „Schwein“ bezeichnet hatte, in der Öffentlichkeit neben einem lebenden Schwein stehen und dabei eine Tafel mit der Aufschrift „Das ist kein Polizist!“ hochhalten. Ist die nächste Stufe dann auch bei uns, dass ein Wirt vor seinem Lokal neben einer Mülltonne stehen muss mit einem Schild und der Aufschrift „Ich habe meinen Gästen Müll zu essen gegeben“? Wollen wir das wirklich?