Mailand: Transfermarkt im Hotel
An den letzten vier Werktagen vor Transferschluss treffen sich ca. 1.000 Spielerberater, Sportdirektoren, Manager, Präsidenten, Journalisten und der ein oder andere Jung-Profi im Mailänder Atahotel, um Verträge auszuhandeln, Abfindungen zu regeln und Gefälligkeiten auszutauschen. Die „neblige Atmosphäre“ im Hotel entsteht nicht nur durch den Zigarren-Rauch der Vereinsbosse, die wie ein Patron über ihre Klub-Schäfchen wachen und bestimmen. Sie wird auch getragen von halboffiziellen Verabredungen und Provisionszahlungen von denen das Finanzamt nicht unbedingt etwas erfahren muss. Ein Reporter der „11 Freunde“ beschreibt die Szenerie als ein Potpourri italienischer Eitelkeiten: „Alle müssen aufpassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden, aber natürlich gelingt das nicht immer. Hier werden zum irreführenden Soundtrack von Streicherklängen, die zur Besänftigung des frenetischen Basars aus den Boxen an der Decke rieseln, Gerüchte verbreitet, Karrieren erst mühsam gezimmert, mit einem Federstrich beendet und nebenbei viele Millionen verdient.“
Wildes Treiben „mit anfassen“
Die Spieleragenten, die sich wie Ameisen im Atahotel Executive tummeln, verdienen im heutigen Fußballgeschäft kräftig mit. Dementsprechend versuchen sie alles, ihre Schützlinge zu transferieren, um die Provision einzustreichen. Laufen die Geschäfte zwischen Agenten, windigen Spielerberatern, Managern und Klubbossen nicht wie gewünscht, gehen den Fußall-Verrückten auch mal die Gäule durch. Dann müssen die Carabinieri anrücken und die handgreiflich gewordenen Streithähne voneinander trennen. Aber auch Journalisten bekommen die fettige Faust genervter Spielerberater ins Gesicht. So ohrfeigte z. B. der Agent des ehemaligen italienischen Nationalspielers Fabio Cannavaro einen Reporter, wie „11 Freunde“ schreibt.
Große Deals finden in den Luxus-Suiten statt
Während sich in der Lobby und den billigen Plätzen im Paterre Vereinspräsidenten zweit- und drittklassiger Vereine kurz vor 19 Uhr nervös ihre schlecht sitzenden Anzughosen zurechtrücken, sind die Luxus-Suiten im 1. und 2. Obergeschoss für die millionenschweren Manager von Juventus Turin, AC und Inter Mailand sowie dem AS Rom und SSC Neapel reserviert. Ein Lift befördert die Spieleragenten in den Verhandlungstrakt. Früher empfingen die mächtigen Vereinsbosse der großen Klubs noch persönlich ihre Klientel. In Zeiten der sportlichen Talfahrt des italienischen Vereinsfußballs schicken sie nur noch ihre Entourage. Journalisten warten dann gespannt auf die Ergebnisse der Verhandlungen und hoffen auf spektakuläre Transfer-Coups, um ihre Titelseiten füllen zu können. Sie warten auf Männer wie Tullio Tinit, der als einer der wichtigsten Agenten gilt. „11 Freunde“ beschreibt ihn als die „graue Eminenz des Calciomercato“ (Anm. d. Red.: „Transfermarkt“). Zu seinen Mandanten gehören Spieler-Größen wie Filippo Inzaghi, Luca Toni oder Andrea Pirlo. Tinti weiß meist vor allen anderen, welchem Spieler eine große Zukunft bevorsteht und welcher Spieler seinen Marktwert eingebüßt hat. Wer ihn in der Lobby abpasst und zu einem Vier-Augen-Gespräch überredet, der hat als Journalist seine nächste große Story bereits in der Tasche.
Transfers an der Hotel-Bar
Früher musste man nicht auf wichtige Agenten oder prominente Vereins-Obere warten, um Sensations-Transfers zu erfahren. „Früher kamen die meisten Präsidenten selbst. In den sechziger Jahren feierte Inter-Präsident Angelo Moratti seine Transfercoups an der Hotelbar und gab um Mitternacht Champagner für alle aus“, schreibt „11 Freunde“. Der Rubel rollt heute in den Büros der reichen Klubbosse wie Adriano Galliani (AC Mailand) oder Andrea Agnelli (Juventus Turin). Im Jahr 2017 spielen andere die Hauptrollen auf dem Calciomercato im Atahotel Executive. Der Calciomercato in der norditalienischen Modemetropole bleibt jedoch weiter ein schmieriges Drama, dessen Schauspieler längst nicht mehr Wasser in Wein verwandeln können. („11 Freunde / FL)