Winterwunderland Vilnius
Foto: Robert Herhold/stock.adobe.com/generiert mit KI

Winterwunderland Vilnius

Die Hauptstadt Litauens ist die Boombox des Baltikums. Die Wirtschaft floriert, die Stadt ist jung, Essen und Ausgehen machen Spaß!

von Gabriele Gugetzer
Donnerstag, 06.11.2025
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Wie der Rest des Baltikums blickt Vilnius auf eine bewegte und wenig friedliche Vergangenheit zurück. Als die Russen dann irgendwann abzogen, war Anfang der 1990er Jahre vieles verfallen, waren Kirchen zu Viehställen umfunktioniert, mussten ganze Stadtteile neu erschlossen werden. 

VILNIUS BEHEIMATET VIER RESTAURANTS, DIE JEWEILS MIT EINEM MICHELIN-STERN AUSGEZEICHNET WURDEN.

Heute ist Vilnius zum Verlieben schön, auch weil es so viel ausgehalten und erlebt hat. Die Bewohner sind patent und sehr freundlich, sprechen so hervorragend Englisch wie Skandinavier, sind weitgereist, kulinarisch wissbegierig und sehr an der eigenen Historie interessiert. Die zahlenmäßig größte Stadt des Baltikums hat das, was Köche und Foodkenner hierzulande seit langem vermissen: ein Verständnis von regionaler Tradition auf dem Teller. 

Hier schmeckt es unverwechselbar litauisch, es wird geräuchert, mariniert, eingeweckt. Aber abgeschmeckt wird mit oft auf Auslandsaufenthalten erworbenem Können. Wer sich hier ein paar Tage durch die Gastro futtert – erschwinglich ist es auch –, der ist inspiriert, geerdet und darf zum Abschluss auf einer Schaukel, die unterhalb der Brücke der Vilnelé hängt, die Seele baumeln lassen. Bevor man die Brücke dann überquert und in der Republik Uzupis, einer mitten in Vilnius fleischgewordenen Schnapsidee von Künstlern, seinen Pass abgestempelt bekommt.

Festival of Lights
Ein Hauch Magie liegt im winterlichen Vilnius in der Luft – beispielsweise laden zugefrorene Seen und Flüsse sowie das Festival of Lights zu Spaziergängen ein. Foto: Go Vilnius/GabrielKhiterer

Litvak und die Sterne

Litvaks sind Juden mit Wurzeln im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Litauen, heute sind das Litauen, Weißrussland, Lettland und Teile von Polen und der Ukraine. Vylius Blauzdavicius, auch als Chef the Viking bekannt, ist ihr bekanntestes kulinarisches Gesicht. Er kocht zusammen mit seiner 75-jährigen Mutter im Baleboste, macht die besten Bagel der Stadt und hat eine Mission: „Wir möchten die alten Rezepte, die verloren gegangen waren, neu beleben, die Gäste erinnern an die Qualität von Hausmacherküche vergangener Zeiten. Essen gibt Identität.“ 

Traditionen anderer Art leben im Sterner Pas Mus in der Altstadt weiter. Auf einer Seite des Gastraums tropfen Kerzen langsam die Wand hinab und verwandeln sie in eine Kunstinstallation mit Kirchenfeeling. Sonst gibt Spanholz den Takt an: Chefköchin Vita Bartininkaitè ist gelernte Architektin. „Wir wollen unser Geld in Produkte, nicht in die Restaurantausstattung stecken“, sagt sie. Sie ist eng verbandelt mit ihrer Großmutter, aus deren Küche das Geschirr und statt normalen Bestecks die Kuchengabeln kommen. 

Ein Bällchen aus Topinambur, Pilz, Kartoffelschaum und geräuchertem Käse, eine Pizza im Puppenstubenformat aus hauchdünn gecrosster Kartoffel, belegt mit roher Jakobsmuschel frisch aus Hokkaido, marinierte Salatgurke mit Holunderblüte und -saft und zwischendrin ein Stück selbst gebackenes Brot mit viel Kümmel, dazu flüssige Butter, Salz und ein Glas Champagner: Das ist edel, mühelos, überraschend und strotzt vor Traditionen.

Vilnius ist stolz auf seine besondere Restaurantkultur und lädt zu unvergesslichen kulinarischen Erlebnissen
Vilnius ist stolz auf seine besondere Restaurantkultur und lädt zu unvergesslichen kulinarischen Erlebnissen in verschiedenen Sterneadressen ein. Im Pas Mus gibt es zum Beispiel jeden Tag etwas Neues auf den Tisch, je nach saisonalen Produkten. Foto: Go Vilnius/FoodAndFriendsMagazine/Malgorzataopalaphotography

Litauische Küche mit kosmopolitischem Twist

Der Sterner Demoloftas hingegen liegt in einem Viertel, das erst erschlossen werden musste; unter den Sowjets war es Sperrgebiet, weil hier Zulieferer für Mütterchen Russlands Raumfahrt tätig waren. Tagsüber ist das Demoloftas ein Coffeeshop, am Wochenende gibt’s Brunch mit monatlich wechselndem Angebot. Und abends wird aus dem tagsüber eher an Industrial Chic erinnernden Ort auch dank der klugen Lichtsetzung ein edles Restaurant, in dem das minimalistische Dekor von Gastraum und Tellern überzeugt. 

DIE STADT WURDE ZUR WIRTSCHAFTS-FREUNDLICHSTEN STADT IM AUFSTREBENDEN EUROPA ERNANNT.

Chefkoch und Inhaber Tadas Eidukevicius ist das kulinarische Zugpferd der Stadt, sein Name fällt durchgängig an erster Stelle, wenn man sich mit Köchen vor Ort unterhält. Tadas kochte in der spanischen Hochküche und holte sich einen Bachelor an der Gasma-Universität in Valencia im Bereich Culinary Management, um dann seinen Traum zu verwirklichen: „Ich wollte die neue litauische Küche auf den Teller bringen.“ Wie das aussieht? Zehn Gänge und augenzwinkernde Mottos. Ein Gang namens Freiheit kombiniert Produkte, die gar nicht zusammenpassen, ein Gang namens Liebe war im Frühjahr mit Fisch, Kirschen und in Kirschblättern gerösteten Auberginen bestückt – die Oma und ihr Garten werden natürlich auch zitiert. 

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