Weiße Nächte in Talsinki
Helsinki und Tallinn rücken zusammen – ein kulturelles wie kulinarisches Erlebnis
von Gabriele GugetzerTalsinki ist vieles, aber nicht der Marketing-Gag, nach dem es sich anhört! Die finnische Hauptstadt Helsinki und die estnische Hauptstadt Tallinn sind sich vom Lebensgefühl her tatsächlich viel ähnlicher als mit anderen Städten im Baltikum oder in Skandinavien; die Nähe ist keinesfalls nur geografischer Natur, man spürt sie z. B. auch beim gemeinsamen Kulturgut Sauna.
SEIT DEN 1990ER- JAHREN KENNT MAN DIE TRANSNATIONALE GROßSTADTREGION AM FINNISCHEN MEERBUSEN UNTER DEM NAMEN TALSINKI.
Während in Helsinki im Winter spezielle Sauna-Straßenbahnen mit viel Klingeling durch die Innenstadt kurven, steht in Tallinn eine entzückende Sauna im Gewässer vor dem Wasserflugzeughafen – die Einrichtung hat selbstredend zu den abstrusesten Jahreszeiten (angeblich gibt’s davon im Norden ja nicht vier, sondern acht) geöffnet. Die estnische Rauchsauna zählt seit 2014 sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Man spürt die Verbundenheit der beiden Städte überdies bei deren Bewusstsein für regionale Erzeugnisse, bei der gastronomischen Selbstverständlichkeit für Produktqualität, bei der Liebe zum Mythos Wald, bei der Neugier auf asiatische Aromen, beim Fokus auf Nachhaltigkeit – und beim Temperament: nicht hölzern wie Schweden und Dänen, nicht zurückhaltend wie Litauer oder gar Letten, sondern unbeschwert und heiter.
Das Beste aus zwei Welten
Ging man früher auf die Fähre, um sich eine (im Wortsinn) Druckbetankung zu geben und von Bord zu torkeln, betrachtet eine jüngere Generation Helsinki und Tallinn heute als Inselhopping-Destinations. Das geht ganz problemlos: Zwei Stunden benötigen gepflegte Fähren, die fast im Stundentakt die Städte verbinden. Die Terminals auf beiden Seiten sind hypermodern und von einer Güte, von der man hierzulande nur träumen kann.
Beim Eintauchen in das Beste aus zwei Welten entdeckt man die von weißen Prachtbauten dominierte Kulisse Helsinkis oder Tallinns historische Viertel, die trotz der Wolkenkratzerkulisse am Hafen das Bild der charmanten Stadt prägen. Kulinarisch hat Helsinki bei den Sternen die Nase vorn und mit dem Palace einen Zweisterner, der auf ewig so bleiben möge. Aber auch Tallinn hat etwas zu bieten: 180° by Matthias Diether ist ein sehr modernes, lichtdurchflutetes Zwei-Sterne-Restaurant.
Luovoos Kukii Kaaoksesta!
Finnisch ist nicht schwer, aber hier dennoch die deutsche Übersetzung: Im Chaos blüht die Kreativität. Das ist nicht nur Lebenserfahrung, sondern der Name eines großartigen Restaurants, wie sie in Helsinki zunehmend aus dem Boden sprießen. Junge Leute, Tattoos, wackelige Tische eng gestellt – alles so reizvoll, so lifestylig, so nachhaltig. Aber in Helsinki steckt mehr dahinter, nämlich eine stolze Professionalität, die beim Service beginnt und vor Technik nicht zurückschreckt. Im Glas ist manchmal Naturwein, öfter guter Champagner. Das Geschirr verweist gerne auf die nordische Tradition der designorientierten Nachkriegszeit. Fundstücke zwischen Rörstrand, Iittala und Arabia of Finland kommen – eher mit der Pinzette und keinesfalls spießig als vollständiges Service – zum Zug und werden mit regionalem Wild, Wurzeln, Kräutern (siehe auch Interview mit „Kräuterflüsterer“ Sami Tallberg), handgetauchten Jakobsmuscheln, Austern mit Aquavitgelee oder Käsetartar belegt.
Empfehlenswert in dieser Riege sind überdies das Skörd und das Restaurant 305, das sich für seinen Style im letzten Jahr einen Bib Gourmand erkochte. Die Technik geht auch raus aus der Küche: Das Nolla heißt nicht von ungefähr Null, der Name bezieht sich auf null Abfall.